Rede
eines 19-jährigen Vereinsmitglieds anlässlich
der Entlassfeier für den Abiturjahrgang 2007 am
23. März 2007 in Kirn:
(Begrüßung:
Liebe ......., sehr geehrte......)
Als
ich am Text dieser Rede saß, merkte ich, wie schwierig
es in Worte zu fassen ist, was uns Abiturienten wirklich
bewegt.
Wie kann man kritisch sein ohne abrechnend zu werden,
loben, ohne zu schwärmen und, wie kann ich die
Jahre vor dem Abitur in Relation setzen zu den Jahren,
die jetzt auf uns zu kommen.
Jeder
von uns jungen Menschen, jede und jeder dieses bunten
Haufens des Abijahrgangs 2007 hat ihre und seine starken
und schwachen Seiten. Mit nichts anderem kamen wir vor
fast 9 Jahren hierher. Wir machten uns keinerlei Vorstellung
davon, was es heißt zu lernen, schon gar nicht,
dass es einen entscheidenden Unterschied gibt zwischen
Lernen und belehrt-werden.
Ziemlich früh mussten wir feststellen, dass in
der Schule das eine gefragt war und das andere tunlichst
zu Hause zu bleiben hatte.
In diesem Schulsystem, so mussten wir erkennen, wird
die Leistungsbereitschaft nicht geweckt und gefördert,
sondern vorausgesetzt. Es wird weniger kreativ an uns
angeknüpft, als verlangt, uns der vorgefundenen
Armut an Kreativität unterzuordnen.
In
den Lehrerinnen und Lehrern begegneten wir der Verschiedenartigkeit
deutscher Pädagogik. Es gab etwa solche, die es
sich bequem und einfach machten, die mit den Augen rollten
und stöhnten, wenn jemand etwas nicht verstand,
ja solche, die uns Schülerinnen und Schülern
unsere Austauschbarkeit vor Augen führten, bei
denen man das Gefühl bekam, die Schüler seien
für den Lehrerberuf da, statt umgekehrt.
Manche beherrschten ihr Fach nicht und gaben Detailfragen
an gute Schüler weiter. Weniger Angepasste wurden
der Einfachheit halber oft genug fallengelassen. Für
Unvorhergesehenes gab es im Lehrplan selten Spielraum
oder in der Geduld etlicher Lehrkräfte keinen Platz.
All
dies sollten wir als schuldienlich oder pädagogisch
vernünftig akzeptieren.
Oft war es schwer, sich dem Nicht-nachvollziehbaren
unterzuordnen.
Mir bleibt es bis heute ein Rätsel, wie dieses
Schulsystem mit seiner Strenge und Einäugigkeit
es schaffen will, das Optimale aus möglichst allen,
doch so verschiedenen, jungen Menschen herauszuholen
und es wirksam werden zu lassen, wie es eher die Neugier
auf die Welt wecken will, statt die Furcht vor dem Ernst
des Lebens.
Diesem System kam vor ein paar Jahren die Pisastudie
dazwischen, eine Studie, die unter anderem die Lernerfolge
in den skandinavischen Ländern hervorhob.
Für uns Schüler war bemerkenswert, wie die
dort umgesetzten lockeren Alternativen zum strengen
deutschen Bildungssystem sogar effektivere Ergebnisse
erzielten.
Es musste, so dachten wir zumindest, jetzt allen deutlich
werden, was ein stärker auf jeweilige menschliche,
charakterliche Eigenarten eingehendes System ausmacht,
was eine Übertragung der Entscheidungsfreiheit
auf die einzelnen Schulen, wie auch auf die Lehrkräfte,
bewirken kann.
In den skandinavischen Ländern werden die jungen
Menschen offensichtlich nicht als bloßes
Gefäß betrachtet, in welche eine von bürokratischen
Kultusbehörden erdachte und von angewiesenen Lehranstalten
zubereitete Bildungsbrühe hineingefüllt wird.
Diese Länder, und dies ist die eigentliche Erkenntnis
der Pisastudie, sind deshalb so erfolgreich, weil sie
die individuellen Interessen der jungen Menschen kreativ
fördern.
Man
fragt dort viel stärker: Welche Voraussetzungen
und Fähigkeiten sind bei der einzelnen Schülerin,
beim einzelnen Schüler gegeben und wie lässt
sich das zu Lernende hineinflechten ohne die Lernbereitschaft
zu dämpfen.
Leider stecken wir in Deutschland bis heute immer noch
in alten Strukturen. Es gab zwar heftige Diskussionen
über die Pisaergebnisse, deutsche Kultusbeamte
sind sogar mit Pressebegleitung nach Finnland gefahren,
um dort mit Pädagogen zu sprechen und Schulen zu
besichtigen. Doch geändert hat sich für die
breite Masse der Schülerinnen und Schüler
im Grunde nichts.
Wie
oft ist mir im letzten Jahr der allzutreffende Satz
aus einer Dokumentation von Reinhard Kahl in den Sinn
gekommen: Kinder und Jugendliche gehen in Deutschland
zur Schule, wie zum Zahnarzt! - Und ich kann Ihnen versichern,
es gab Tage, da wäre ich lieber zum Zahnarzt gegangen,
als in die Schule.
Oft hat uns Angst auf dem Schulweg begleitet und blieb
neben uns in der Klasse sitzen. Auf dem Lehrplan standen
keine Strategien, um mit ihr fertig zu werden. Dieses
wurde uns selbst überlassen. Viel zu häufig
lernten wir unter Angst und lernten so die Angst
gleich mit.
Wir
sehnten uns danach, auch den ein oder anderen Fehler
machen zu dürfen, ohne dafür gleich eine schlechte
Bewertung zu bekommen.
Wir wünschten oft, das Lernen wäre flexibler
und mit mehr praktischem Bezug geschehen, wäre
mehr mit alltäglichen Ereignissen und Nachrichten
verknüpft gewesen oder mit anderem, was uns junge
Leute beschäftigt.
Wir fragten uns, wie die simple, doch so leicht nachvollziehbare
Regel, dass sich am leichtesten lernt, was auch Spaß
macht, in diesem Schulbetrieb abhanden kommen konnte.
Zum Glück fand sich am Ende des Schuljahrs, wenn
wir an der Seite unserer Lehrer die Schlacht gegen den
Lehrplan vorzeitig gewinnen konnten, noch Zeit für
kreative Projekte, beispielsweise für eine knackige
Kurzgeschichte oder einen spannenden Film. Aber weshalb
ist solcherlei Unterricht nicht gleich im Lehrplan enthalten?
Zeigte er uns doch so deutlich, wie effektiv er den
Leistungswillen zu steigern vermag.
Und
Gott sei Dank trafen wir an dieser Schule auch geduldige
Pädagogen, Lehrerinnen und Lehrer mit Menschlichkeit
und Verständnis, Witz und positiver Originalität.
Für diese schwärmten wir alle, denn sie sorgten
dafür, dass wir im Stress unserer 50-Stunden Wochen
nicht seelisch vertrockneten.
Diese
Pädagogen ergreifen Partei für uns
junge, unfertige Pubertierende. Sie tun mehr als sie
müssen, sie fühlen mit. Sie sind offenbar
von einem Impuls durchdrungen, die menschlichen Aspekte
im Schulbetrieb gar nicht verdrängen zu können.
Das
haben wir gespürt, auch wenn die Gelegenheiten
dazu nicht oft vorkamen im Alltag dieser Mühle,
aber wir waren dankbar dafür, wie für Sonnenstrahlen
nach einem Regenguss.
Ihnen, die uns nie beschämt haben, gebührt
unser ausdrücklicher Dank.
Auch
nach unserem Jahrgang sollen Sie Partei ergreifen für
die Ihnen Anvertrauten, auch gegen die steifen Vorgaben
dieses Bildungssystems.
Fördern Sie alle Schüler, nicht nur diejenigen,
die vordergründig leistungsfähig und
leistungswillig sind. Bleiben Sie Ihrer Erkenntnis treu,
dass der Leistungswille entscheidend durch die Beachtung
individueller Aspekte gesteigert werden kann, dass er
immer da ist, aber unterschiedliche Anstrengungen zu
seiner Freilegung nötig sind.
Den
anderen Damen und Herren im Kollegium, die bezüglich
ihres pädagogischen Gespürs noch nicht so
leistungswillig und mit dem Partei ergreifen noch wenig
vertraut sind, will ich zurufen, was unser Direktor
im Elternbrief zum Schuljahresende 2006 an die nicht
zur Spitze zählenden Schülerinnen und Schüler
richtete:
"Wer weniger erfolgreich war, dem wünsche
ich Entschlossenheit, Willensstärke und Durchhaltevermögen,
um es im nächsten Schuljahr besser zu machen."
Was aber bedeutet Partei ergreifen für die Jahre,
die jetzt erst auf uns Abiturienten zukommen?
Erwartet uns jetzt da draußen in der Welt der
Erwerbsarbeit und der Erwachsenenpflichten mehr Freiheit
und mehr Selbstbestimmung? Und -: Werden wir selbst
Partei ergreifen im sogenannten wirklichen Leben?
Wir sollten uns nichts vormachen, die Zwänge werden,
das können wir an unseren Eltern sehen, nicht weniger
werden, nur anders aussehen. Auch die Welt die vor uns
liegt ist geprägt von eingeschliffenen Strukturen
und deren eifrigen Vertretern.
Die
meisten von uns werden sich wohl wieder beugen müssen
und gehen dann vielleicht allmorgendlich zur Arbeit,
wie zum Zahnarzt.
Wir werden gut überlegen müssen, wie wir in
einer Welt der Konkurrenz und Ellenbogen, der fünf
Millionen Arbeitslosen und der zunehmenden Probleme
in allen Gesellschaftsbereichen unseren Weg finden.
Wir sollen uns einer wirtschaftlichen Ordnung fügen,
in welcher unsere natürlichen Lebensgrundlagen
missachtet und langsam zerstört werden.
Wir sollen vernünftige Entscheidungen treffen,
wo doch die meisten Entscheidungen nachhaltig gesehen
letztlich nur interessengerichtet und unvernünftig
sind.
Wir sollen Ideen entwickeln, wo doch oft nur Rezepte
zur Profitsteigerung gefragt sind.
Werden
wir überhaupt noch Gelegenheit bekommen Partei
zu ergreifen?
Werden wir nicht eher dazu genötigt parteiisch
zu werden. Wird uns bewusst bleiben, dass Partei ergreifen
eigentlich das Gegenteil von parteiisch sein bedeutet?
Partei
ergreifen ist immer auf den Menschen bezogen, ist motiviert
von Güte und Zuneigung, von der Unmöglichkeit,
einem Unrecht zusehen zu können.
Parteiisch sein dagegen ist eher passiv und bedeutet
immer ein Ausblenden großer Teile der ganzen Realität,
ein Herdenverhalten, ein bereitwilliges Aufsetzen von
Scheuklappen auf Kosten berechtigter Interessen anderer.
Natürlich
gibt es auch ein Parteiischsein in eigener Sache. Auch
wir werden allmählich in ein gewisses Eigennutzstreben
hineinrutschen, ja wir werden es unter den Gegebenheiten
müssen, sobald wir das heutige und morgige Fest
gefeiert haben und dann überlegen, wie es weiter
geht.
Wir können uns vor dem Parteiischsein nicht ganz
bewahren. Der Druck, der auf uns wartet, ist viel zu
stark. Sehr wahrscheinlich werden wir noch öfter
zähneknirschend den Mund halten müssen, um
uns nicht elementare Chancen zu verderben.
Jedoch: Man wird uns auch später nicht ins Hirn
schauen können. Unsere Gedanken bleiben frei, sofern
wir es zulassen.
Es ist durchaus möglich, sowohl dem eigenen Fortkommen
gegenüber parteiisch zu sein, als auch sich selbst
die Wachheit zu bewahren, um dann Partei ergreifen zu
können, wenn die Lage es erfordert.
Hüten wir uns davor, falschen Autoritäten
zu glauben. Lachen wir über Politiker, wenn sie
angeben, Probleme lösen zu wollen und dabei nur
Symptome bekämpfen.
Bleiben wir distanziert gegenüber Reden und Taten
und schauen lieber, was für Früchte am Ende
herauskommen.
Bleiben wir vorsichtig, wenn man uns scheinbare wirtschaftliche
Notwendigkeiten schmackhaft machen will, für welche
wieder ein Stück der Schöpfung geopfert werden
muss. Lassen wir uns nicht anstecken von Zeitgenossen,
die kaltes Handeln dem Partei ergreifen vorziehen.
Wir
sollten die Fähigkeit behalten uns in die
hineinzuversetzen, über die wir zukünftig
vielleicht selbst Macht bekommen werden und uns
die Erinnerung bewahren an das, was wir in der Schule
damals empfanden. Dann können die Mensch-gebliebenen
Lehrerinnen und Lehrer an diesem Gymnasium uns als Vorbild
dienen, sofern wir den Wert ihres Handelns nicht vergessen.
Wir alle sollten es als Pflicht empfinden, die Welt
zu verändern und sei es auch in noch so geringem
Maßstab. Halten wir unseren Geist unabhängig
und seien wir gegenwärtig und wachsam gegenüber
der Gefahr, sich mit Konsum oder Parteiischsein zu begnügen.
Nehmen
wir uns doch die gemeinsame Vorbereitung unseres Schulzeitabschlusses
als Vorbild, den Abistreich, die Abizeitung, das gemeinsame
Musik machen und Singen oder die Organisation unseres
Abschlussballs, - was hatten wir doch trotz des Stresses
einen Mordspaß dabei, - dann kriegen wir eine
Vorstellung davon, wie das Leben auch sein könnte.
Liebe
Mitschülerinnen und Mitschüler, ich danke
euch für die schöne und glückliche Zeit
die wir oft miteinander verbringen konnten, gute Freundschaften
werden, so hoffe ich sehr, nicht rosten.
Liebe Lehrerinnen und Lehrer, auch Ihnen gebührt
neben der geäußerten Kritik an Einigem und
Einigen, insgesamt gesehen unser aufrichtiger Dank für
alles, was Sie uns beigebracht haben.
Ein
besonderer Dank gilt den Lehrerinnen und Lehrern, die
für uns ihre Freizeit geopfert haben, um mit uns
etwas zu unternehmen, sei es bei den Fahrten nach.......den
Unibesuchen......., etc.
Danke
schließlich euch und danke schließlich Ihnen
fürs aufmerksame Zuhören.
Philipp
- (seine Abiturnote war 1,5)