Globalisierung
und G8
Im
Juli 2007:
Der sogenannte G8-Gipfel, ein jährliches Treffen
der obersten Regierungschefs der reichsten Industrieländer
ist zu Ende gegangen. Die Kommentare zu den Ergebnissen
dieser Gesprächsrunde überspannen natürlich
mal wieder das ganze Spektrum von erfolgreich bis ergebnislos.
Es kommt ganz darauf an, wer sich dazu äußert.
Kanzlerin Merkel findet allen Grund zur Zufriedenheit,
nicht anders war es auch von ihr und ihrem Vorbereitungsstab
geplant. Die Gegner der Globalisierung stehen am anderen
Ende mit vehementer Kritik. Ihrer Meinung nach kann
man ein vages Bündel von Absichtserklärungen
nicht als Ergebnis bezeichnen. Ja gerade diese Absichtserklärungen
seien nur die Verschleierung der prinzipiellen Unfähigkeit
der mächtigsten Industriestaaten, berechtigte Problemfelder
anzuerkennen und zu überdenken.
Die
Geschichte dieses Gipfels begann 1975. Damals fand das
erste Treffen dieser Art bei Paris statt. Initiiert
vom französischen Staatspräsidenten Giscard
d' Estaing, dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt
und US-Außenminister Henry Kissinger kamen Vertreter
der 6 reichsten Industrienationen, Frankreich, BRD,
Großbritannien, Italien, USA und Japan als "Gruppe
6" zusammen. Im nächsten Jahr schon, beim
G7, war auch Kanada dabei, und 1997, als Russland dazukam,
entstand die G8.
Ursprünglich waren die eher losen Zusammenkünfte
der Staatschefs dazu konzipiert, Fragen zu behandeln,
die der sich in den 1970er Jahren stark entwickelnde
globale Handel aufwarf. Die ökonomische Nachkriegsordnung
löste sich auf, indem die allumfassende Dominanz
der USA als Industrie- und Exportnation zu Ende ging.
Bis dahin noch als Ersatz einer Weltwährung allgemein
akzeptiert, schwand das Vertrauen in den Dollar zunehmend
wie die Goldvorräte der USA.
Die Weltwährungskrise 1973 markierte einen Wendepunkt.
Der Dollar, nun endgültig vom Goldwert entkoppelt,
blieb in Ermangelung eines Ersatzes zwar indirektes
Weltgeld, jedoch trat an die Stelle der Goldbindung
zur neuen Sicherheit der amerikanischen Währung
ein sehr zweifelhafter Aspekt, nämlich das Glauben
und Hoffen in die gigantische Militärmaschine der
USA.
Zwei verhängnisvolle Folgen wirken daraus bis heute:
1. Die USA konnte fortan Dollars drucken, ohne auf irgendeine
Edelmatallbindung achten zu müssen. Dies hat dann
zum gegenwärtig tatsächlich bestehenden Zustand
einer Weltinflation geführt, die nur deshalb nicht
ausbricht, weil dominante Länder wie Japan und
China gigantische Mengen an Dollars halten.
2. Jeder Staat, der aus einer neuen Weltwirtschaftskrise
gewaltige Schäden für sich erwarten muss,
ist gezwungen, die militärische Dominanz der USA
anzuerkennen, sie gar zu fördern, indem die amerikanische
Außen- und Finanzpolitik grundsätzlich nicht
in Frage gestellt werden darf.
Der Weltwirtschaftsgipfel musste im Folgenden jegliche
Regularien für Wechselkurse aufgeben und die Devisenentwicklung
dem freien Spiel, oder besser gesagt, der Willkür
des Weltmarktes überlassen. Seither folgen die
Währungen der Länder dem Dollar in seinen
Aufs und Abs wie ein treuer Hund seinem betrunken von
Hausecke zu Hausecke torkelnden
Herrn. Und, seither lohnen sich Devisenspekulationen
im ganz großen Stil, ein Wetten auf eventuell
mögliche Entwicklungen zwischen den Währungen
und natürlich alles, was damit an neuen Undurchschaubarkeiten
und Unberechenbarkeiten im Welthandel einher geht.
Fortan scheinen nur noch international agierende Geldjongleure
durchzublicken. Der ganze Welthandel reduziert sich
immer mehr zur alleinigen Absicht dieser Akteure, möglichst
hohe Milliardengewinne aus möglichst weitreichenden
Transaktionen für sich abzuzweigen. Große
Banken betätigen sich als eifrige Einfädler
und Steigbügelhalter und konzentrieren ihr Hauptgeschäft
auf das Aufsammeln der beim großen Fressen anfallenden
fetten Krümel. Das Wort Welthandel ist eigentlich
nur noch eine Fassade, denn um Handel, um Austausch
von Waren zum Zwecke der Versorgung, geht es nur noch
bedingt.
Diese Tendenz, mit dem Wort Globalisierung verharmlost,
hat ihren Ursprung im Beginn der Weltwirtschaftstreffen
im Jahr 1975. Was sich im Währungssektor schon
durchgesetzt hatte, das "freie Spiel der Weltmarktkräfte",
wurde nun allem Handel zugebilligt.
Wohl gemerkt: die G6 oder G7 hatte eben nicht
etwas beschlossen, was an die Stelle der Nachkriegsordnung
hätte rücken können, etwas, wonach der
Welthandel hätte ausgerichtet werden können.
Sie hat vielmehr bewusst darauf verzichtet, etwas
zu tun und damit erst die Lücke geschaffen, durch
welche die heute in der Weltfinanz Dominanten ihre Macht
erreichen konnten. Die großen Staatschefs haben
schlichtweg gegenüber der bereits bestehenden Situation,
gegenüber ihrem eigenen Mangel an Fantasie zu realistischen
Alternativen kapituliert. Insofern sind die G8-Treffen
von heute nur die Übertünchungsversuche einer
nie zugegebenen Bankrotterklärung. Damals wie heute
mangelt es an ermutigenden Visionen, - aus den 1970ern
stammt der bezeichnende Ausspruch von Helmut Schmidt,
wer Visionen habe, solle zum Arzt gehen -.
Zusammen mit den globalen Haifischen mit unstillbarem
Profitbedarf, sickerte auch die dazu passende ökonomische
Theorie durch die geöffneten Schotten des Welthandels.
Wovor der britische Ökonom John Maynard Keynes,
ein Architekt der Nachkriegsordnung, noch gewarnt hatte,
wurde über Bord geworfen. Staatliche Regularien
unter Voraussetzung des unbedingten Bezugs auf die Nationalökonomien
wurden abgebaut. Der Neoliberalismus konnte seine
Kuckuckseier nunmehr direkt in die Ökonomien der
Nationen plazieren.
Dies konnte ihm allerdings nur deshalb gelingen, weil
er gleichzeitig in die Köpfe eines Großteils
von Politikern und Wirtschaftswissenschaftlern eindrang.
Bedrängt und bearbeitet von subtil vorgehenden
Konzern- und Bankenstrategen verloren immer mehr von
ihnen die letzten Bedenken und mutierten zu bereitwilligen
Ausbrütern einer als modern maskierten Ideologie.
Diese Unterwanderung des Parlamentarismus erreichte
schließlich eine Eigendynamik, die das Vordringen
in letzte Winkel öffentlicher, wissenschaftlicher
und privatwirtschaftlicher Institutionen ermöglichte.
Nachdem der Damm nun endgültig gebrochen war und
der Neoliberalismus wie Kokain konsumiert wurde, nachdem
der letzte Widerspruch, die letzten Bedenken verstummten,
ergaben sich die Akteure auf allen Ebenen in einen vorauseilenden
Gehorsam. Eine regelrechte Deregulierungswut erfasste
fast alle nationalstaatlichen Parteien, alle Regierungen
in den Industriestaaten und die internationalen Institutionen
Weltbank
und IWF. Alle übrige Welt wurde unter die neue
radikale Doktrin hinter dem Modernität suggerierenden
Wort "Globalisierung" gezwungen. Für
die sogenannten Entwicklungsländer gab es nur noch
Globalisierung oder Verderben, was sich mittlerweile
entsprechend den schlimmsten Befürchtungen als
ein und das selbe herausgestellt hat.
Der G8-Gipfel schließlich, um es mit einem Bild
auszudrücken, ist nichts anderes als das oberste,
völlig bekokst tagende Gremium einer Welt, die
die Sucht zum Lebensideal und die Vernunft zu Ballast
erklärt hat.
Selbst das Abschmieren der Industrieländer selbst,
hinter den sorgsam polierten Fassaden ausgewählter
Statistiken, bringt die Mächtigen und ihren Stab
keineswegs zum Grübeln. Mittlerweile dienen die
elitären Treffen nur noch als Presseshow zum Übertünchen
der eigenen Ratlosigkeit und zur Kurierung von Symptomen,
oder besser gesagt zum Versprechen einer Kurierung von
Symptomen der selbst vom Zaum gebrochenen Krankheit.
Immer aufwändiger muss der faktisch bestehende
Weltbankrott, die Tatsache, dass der Dollar kaum mehr
Wert besitzt als seine Papiersubstanz, kleingredet werden.
Problemaufschiebend wirkte sich zu Beginn der 1990er
Jahre der Zusammenbruch des sozialistischen Staatskapitalismusses
in den Sowjetländern aus. Ein neues Paradoxon kam
hinzu. Um wieder ein Bild zu bemühen: Zwei Männer
sitzen auf zwei verschiedenen Ästen eines Baumes
und sägen mit unterschiedlichem Werkzeug stammseits.
Ganz gefesselt vom Anblick des tanzenden, lustig wegfliegenden
Sägemehls, haben sie jeden Gedanken an das sichere
Verhängnis verdrängt. Eifrig versuchen sie
sich zu übertreffen mit ihrer Sägeleistung,
wobei plötzlich der eine das Gleichgewicht verliert
in die Tiefe stürzt. Der zweite Mann jubelt auf,
weil er sich in der Annahme, einen Idioten mit untaglicher
Sägemethode gegenüber gehabt zu haben, bestätigt
sieht, und sägt zufrieden weiter.
Zurück zum G8-Gipfel: Er ist gewissermaßen
das oberste Gremium zur Verfeinerung und Wegbereitung
der effektivsten Sägemethode im weltweit übrig
gebliebenen westlichen Astabsägesystem. Und er
übertüncht die unablässig fortschreitende
Tragkraftschwächung des Menschheitsastes mittels
eifriger Fokussierung der Öffentlichkeit auf die
Sägemehlschwaden, welche er allen Ernstes als "Wachstum
und Wohlstand" bezeichnet. Mit der Globalisierung
wurde schließlich die Bügelsäge durch
die Kettensäge ersetzt.
Gnadenlos und völlig berauscht lassen sich die
G8-Gipfler ihre Sicherheit von denen bezahlen, denen
sie nur noch Brot und Spiele zubilligen. Alles andere
bekommt die Bevölkerung mit Hinweis auf die ach
so notwendige und moderne Globalisierung ausgeredet.
Dass das Brot immer schimmliger und nährstoffärmer
wird, die Spiele immer öder und destruktiver, diese
Tatsachen schafft man noch mit Hilfe der Werbung und
der linientreuen Medien unterm Teppich zu halten. Der
so geschaffene Buckel allerdings wird immer dicker.
Er besteht aus Massenarbeitslosigkeit, Beschäftigungsschwund,
eskalierender Alltagsgewalt, wuchernden Zivilisationskrankheiten,
Erosion sozialer Sicherungen, Entsolidarisierung, usw.,
usw., und die Wahrscheinlichkeit, dass bald unsere gesamte
Gesellschaft darüber stolpert und gehörig
auf die Schnauze fällt, wie es Teilen von ihr schon
täglich passiert, ist längst einer Zwangsläufigkeit
gewichen.
Je eifriger die obersten Staatschefs der G8, diese Schneisentrampler
der Globalisierung, sich vor das Volk stellen, um eine
neue Epoche von Wohlstand und Wachstum zu verheißen,
desto heftiger entblößt sich hinter ihnen
die wahre Fratze und entlarvt das Gestammele als Wunschdenken
oder als hilflose Überspielung unreflektierter
Eitelkeit und blanker Unkenntnis.
Gerade blicken wir nur auf eine Momentaufnahme beispielweise
im Prozess der zunehmenden Auslagerung deutscher Lohn-
und Erwerbsarbeit in ferne Länder. Wenn wir uns
jetzt schon bezüglich des Arbeitsmarktschwunds
als Verlierer der Globalisierung wiederfinden, wie erbärmlich
wird es in unserem Land erst in 20 Jahren aussehen?
Auch die deutschen Gewerkschaften in ihren nationalen
Grenzen bemerken langsam die Existenz völlig neuartiger
Grundvoraussetzungen. Seit Jahrzehnten gewohnt, mit
Schwert und Schild gegen greifbare Gegner kämpfen
zu können, stellen sie erstaunt fest, dass sie
in einen unbekannten Morast gelockt wurden. Immer häufiger
sackt ihnen der Fuß weg, versinkt in einem Matschloch
und sie müssen die ganze Kraft und Konzentration
aufwenden, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Ihr Gegner ist nicht mehr nur greifbar am festen Ort,
er wird immer mehr zur diffusen Nebelschwade, gegen
die das altbewährte Schwert seine Wirksamkeit eingebüßt
hat. Oder er steht weiter entfernt, so dass die Arme
des Schwertkämpfers jämmerlich zu kurz erscheinen.
Für die Gegenseite, die Profiteure der Globalisierung,
bedeutet dies eine vortreffliche Nebenwirkung. Auch
ihr Kampf gegen die Gewerkschaften ist ein gänzlich
anderer geworden. Im Grunde brauchen sie nur noch abzuwarten,
bis ihr Gegenüber mit seinen untauglichen Waffen
vom Untergrund verschluckt wird. Die Gewerkschaften
haben bis heute noch nicht begriffen, dass die geänderten
Grundbedingungen auch eine völlig andere Kampftechnik
erfordern, und wie es gegenwärtig aussieht, sind
sie mit der Notwendigkeit zum Umdenken derart überfordert,
dass es ihr Untergang sein wird.
Die
Globalisierung muss gesehen werden wie eine Gerölllawine.
Momentan donnert sie mächtig zu Tal. Die G8-Teilnehmer
sind ihr gegenüber völlig hilflos, blenden
aus, was am Ende alles kaputt gewalzt werden könnte,
und überspielen diese Hilflosigkeit mit ihrem Beifallklatschen.
Um dazu noch den Eindruck zu erwecken, diese Lawine
steuern zu können, diskutieren sie über die
Steinmassen, sprechen sich gnädigerweise für
den Erhalt einer kleinen Baumgruppe aus, die im Wege
steht, schauen rechtzeitig weg, bevor diese niedergewalzt
wird, und laufen dann wieder zuversichtlich dreinblickend
ein Stück weit neben den Brocken her. Publikumswirksam
und wählertauglich rufen sie sich dabei Zuversichtsparolen
über den Segen der Lawine für die Hang- und
die Talbewohner zu.
Doch auch die internationalen Konzerne, die globalen
Finanzinvestoren und die momentanen Boomregionen der
Welt sind weit davon entfernt, irgend etwas an der glloppierenden
Dynamik steuern zu können. Um es wieder mit dem
Bild der Gerölllawine zu beschreiben: Alle diese
Akteure verstehen es allenfalls, auf den rollenden Brocken
eine Zeit lang hin und her zu springen und mit zu Tal
zu rennen. Auf diese Weise sind sie ein gutes Stück
schneller als beispielsweise die alten Industrienationen,
die im Wege stehen und sich nach dem Erblicken der herankommenden
Lawine erst mal in Bewegung setzen müssen.
Die Wissenschaftler der kapitalistischen Ideologie,
die neoliberalistisch ausgerichteten Ökonomen,
werden gegenwärtig zur Interpretation der Lawine
eifrig hofiert. Von ihnen erwartet man Trost, man erhofft
sich zuversichtliche Voraussagen und bekommt diese auch.
Nur darf man nicht so genau zwischen die Zeilen schauen.
Man erkennt sonst die wahre Qualität dieser Art
von Statements, die einerseits an das Betrachten einer
Kristallkugel erinnern, andererseits die lebensrelevanten
Details der einzelnen Menschen in der betroffenen Masse
völlig ausklammern.
Nichts wird hier gesagt über die Zerstörung
der natürlichen Lebensgrundlagen und des für
einen inneren Gesellschaftsfrieden notwendigen Bestands
einer greifenden Solidarstruktur. Nichts wird gesagt
über viele andere Notwendigkeiten für die
Bewohner in den alten Industrienationen, sinnvolle Arbeit
und das Gefühl, für sich selbst sorgen zu
können, starke regionale und kulturelle Identität
und Eigenständigkeit, die Gewissheit, in erster
Linie zu leben und dafür einen gewissen Anteil
Erwerbsarbeit zu leisten, statt umgekehrt in der Befürchtung
zu existieren, selbst nur für die Arbeit und den
Konsum zu leben. Nichts sagen die Modeschöpfer
der Ökonomie zu den Zerstörungen in den aufstrebenden
Ländern selbst, zu den großflächigen
Vergiftungen von Millionen Quadratkilometern in China
und anderen östlichen Staaten, zur Verseuchung
von Grundwasser und Flüssen, vom Dahinsiechen der
direkt Betroffenen, von den verhängnisvollen Folgen
durch die umfassende Auflösung gewachsener zwischenmenschlicher
und regionaler Strukturen hauptsächlich in Asien.
Ökonomen betrachten nur das Ganze und die ausgewählten
Statistiken. Sie sind die Maskenbildner des Raubtierkapitalismus,
belügen sich im Grunde selbst mit ihrer Unfähigkeit
zur Betrachtung der langfristigen Folgen, im schlimmsten
Fall mit der Unterschlagung ihrer stillen Erkenntnis,
dass die Lawine am Ende alles und jeden zermalmen wird.
Sie sind die Sektengurus im Hintergrund der Staats-
und Regierungschefs, die sich zum G8 treffen, um ihre
Verblendung zu feiern.
Wie
allerdings kann die Weltgesellschaft dieser verhängnisvollen
Dynamik entrinnen?
Das Globalisierungsphänomen im Zeichen der neoliberalistischen
Ökonomie wird einerseits von den Zustimmenden in
den Industriestaaten, von Parlamentariern der etablierten
Parteien, von Teilen der Wirtschaft und der Wirtschaftswissenschaft
beklatscht oder geduldet, andererseits von den Gegenern
scharf bekämpft.
Die Einen sagen, man könne sich ja doch nicht dagegen
wehren und solle sich besser für die kommenden,
sogenannten Herausforderungen, was immer das auch sein
mag, rüsten. Diese, allen voran die meisten Europapolitiker,
glauben im Ernst, mit der Verdrängung jeglicher
Erkenntnis über die tieferen Wirkungen und Einschneidungen,
mit einem konsequent zur Schau getragenen opportunistischen
Dilettantismus ließe sich die Gerölllawine
an den alten europäischen Gesellschaften vorbeihypnotisieren.
Dieses, gerade in Heiligendamm wieder gesehene, konzeptlose
Gesundbetungsprozedere von Bundeskanzlerin Merkel und
den sieben anderen Zwergen wird den Ruin des Westens
genauso wenig verhindern, wie auch das Ausbluten der
ärmeren Weltregionen.
Dem ersten großen Fehler von Anfang der Siebziger,
als sich erstmals die G6 und G7 trafen, um zu beschließen,
gegen den Zerfall der internationalen Währungspolitik
nach dem Krieg, an die Stelle der Nachkriegsordnung
von Bretton Woods eben keine neue zukunftsfähige
Ordnung zu setzen, folgt Anfang des 21ten Jahrhunderts
das zweite große Versagen. Obwohl die Fehlentwicklungen
jetzt unbestreitbar vor uns liegen und das böse
Ende, im Gegensatz zu 1975, nun nicht mehr verschleiert
werden kann, bleibt die G8 trotzdem bei ihrem Verzicht
auf entschiedenes Handeln.
Die Anderen, die Gegner oder Kritiker der Globalisierung,
liegen allenfalls in ihrer Interpretation der möglichen
katastrophalen Folgen richtig. Ihre Forderungen nach
Renationalisierung des Wirtschaftsgeschehens, gewissermaßen
die Rückbesinnung auf den Ökonomen Keynes,
sind allerdings mittel- und langfristig untauglich.
So sehr man sich einen Neokeynesianismus mit mehr staatlichen
Regulierungen als möglichen Schutz vor den üblen
Wirkungen der rollenden Weltökonomie auch herbeisehnt,
es wird nur kurzfristig wirken können, weil sich
die von außen aufgenötigten Bedingungen weiterhin
wandeln und man aus dem Nachbesserungsprozedere nicht
mehr herauskommt. Die Globalisierung ist ja nicht der
eigentliche Grund für die Probleme der Industriegesellschaft,
allenfalls deren Multiplikation. Es wird ja nur das,
was vorher im staatlichen Wirtschaftsraum falsch gemacht
wurde, nunmehr im internationalen Bereich falsch gemacht.
Die Kritiker der Globalisierung fordern, bildlich ausgedrückt,
nichts anderes, als inmitten der rollenden Gerölllawine
einen Zaun um die eigenen Behausungen aufzuschlagen,
um dann innerhalb dessen ungestört die eigene nationale
Minilawine rollen lassen zu können.
Der
erste große Fehler beim Nachdenken über die
Weltökonomie wurde schon 1944 auf der Konferenz
von Bretton Woods gemacht. Einige Informierte werden
sich erinnern, dass damals die Warnungen des Ökonomen
John Maynard Keynes sich kaum in Regularien wiederfanden,
dass damals schon die amerikanische Regierung und andere
kapitalistisch orientierte Liberalisten die Nachkriegsordnung
prägen konnten.
Wesentlich gravierender aus heutiger Sicht wirkt jedoch
die Tatsache, dass die Thesen des britischen Volkswirtschaftlers
Arthur Cecil Pigou nicht beachtet wurden. Dieser hatte
bereits 1920 auf Fehlentwicklungen hingewiesen, die
aus der Externalisierung von produktionsbedingten Umweltschädigungen
hervorgehen, und vorgeschlagen, diese Schäden durch
die Erhebung von Umweltabgaben zu begrenzen. Ein solches
Instrumentarium wurde seitdem als Pigousteuer bezeichnet,
aber niemals auch nur in Ansätzen realisiert. Auch
die sogenannte Ökosteuer in der Bundesrepublik
kann kaum als Mittel gegen externe Produktionseffekte
angesehen werden.
Hätten Helmut Schmidt, Giscard d´Estaing,
Henry Kissinger und die anderen drei G6ler damals am
15. November 1975 auf Schloss Rambouillet bei Paris
diesen Aspekt ernsthaft nachgeholt, hätten sie
damals schon eine Marktwirtschaft begründen können,
die diesen Namen verdient. Sie hätten zu der Erkenntnis
kommen können, dass nur eine Ökonomie ohne
die Externalisierung von ökologischen und sozialen
Schadkosten für die Weltgesellschaft nachhaltig
von Nutzen sein kann. Die Globalisierung wäre auf
einem soliden Fundament erfolgt, wäre von Behutsamkeit,
Stabilität und automatischer Rücksichtnahme
auf die einzelnen Regionen dieser Welt und ihrer Eigenarten
geprägt. Eine solch organisch gewachsene Globalisierung
wäre für die menschlichen Lebensnotwendigkeiten
alles andere als destruktiv erfahrbar.
Die weltweite Finanzblasenökonomie hätte gar
nicht die bedrohlichen Ausmaße der heutigen Zeit
annehmen können, da durch den Zwang zur Internalisierung
aller möglicher Produktionsfolgen zu Lasten des
Verursachers, sich national wie international völlig
andere Prioritäten und Industrie- und Marktstrukturen
herausgebildet hätten. Würde ein Investor
beispielsweise einen Betrieb aufkaufen wollen, hätte
vorher die Frage eine Rolle gespielt, ob dadurch soziale
oder ökologische Schadkosten für die Gesamtgesellschaft
verursacht würden. Der finanzielle Wert des Unternehmens
bestünde nur in der friedlichen Korrespondenz mit
und innerhalb der Gesamtgesellschaft. Jedes Zerschlagungsvorhaben
und beabsichtigte Veräußern von rentablen
Teilen wäre von vorneherein unrentabel. Die meisten
der heute üblichen Rationalisierungsmethoden, wie
beispielsweise Arbeitsplatzabbau und Produktionsverlagerung
ins Billigausland, brächten keinerlei finanziellen
Vorteil mehr.
Zurück
können wir jedoch nicht mehr. Was uns noch bleibt,
ist, heute so schnell wie möglich die Umsetzung
einer externalisierungsfreien Ökonomie umzusetzen.
Dabei müssen wir über Pigou hinaus nicht nur
die ökologischen, sondern auch alle durch das Wirtschaftsgeschehen
entstehenden sozialen Schadkosten berücksichtigen.
Pigou, würde er seine Thesen in unseren Tagen entwickeln,
käme sicher zur gleichen Erkenntnis. Ja wir müssen,
um einem neuen ökonomischen Fundament auch den
letzten realistischen Bezug zu verleihen, auch über
den Begriff der politischen Schadkosten nachdenken und
dafür sorgen, dass alle diese Kosten in die Preise
der sie verursachenden Produkte einfließen.
Hier erschließt sich uns eine ganz neue Perspektive.
Zwischen denen, welche die Globalisierung meinen noch
steuern zu können, und denen, die zurück wollen
in die vorglobalisierte Epoche, bietet sich eine kategorisch
umgesetzte Marktwirtschaft als Vorwärtsverteidigung
altbewährter, menschlicher Werte an. Lassen wir
uns von den Repräsentanten der Gegenwartsökonomie
nicht aufs Glatteis führen, wenn sie uns erzählen,
die Marktwirtschaft gäbe es schon. Auch dies ist
nur eine Maske, das Schaffell um den Wolf der herrschenden
kapitalistischen Planwirtschaft.
Wir brauchen auch keine Goldbindung, keine Dollarbindung
oder eine Bindung an irgend eine dominante Militärmaschine,
um eine weltweite finanzielle Stabilität zu bewahren.
So wie die Fähigkeit eines Termitenvolks zum Aufbau
des schützenden Lehmbaus allein aus der Vielzahl
gleichberechtigter Induviduen einerseits und dem Willen
zur Zusammenarbeit andererseits resultiert, braucht
die Weltgesellschaft starke und friedfertige, unabhängige
und unbevormundete Regionen, um langfristige Stabilität
zu sichern. Dafür brauchen wir das passende ökonomische
Modell und den Willen, es umzusetzen.
Hierfür bietet sich als realistische Grundlage
einer überparteilichen Diskussion das Modell der
Kategorischen Marktwirtschaft an, wie es der Verein
Zukunftslobby e.V. entwickelt und publiziert hat.
Nur dieses kann ein nachhaltiges Mittel sein, um die
Gerölllawine zum Stoppen zu bringen, ein Mittel,
so fundamental, als würden wir den schrägen
Hang unter der Lawine in eine Waagerechte zurückkippen
und so die Erdanziehungskraft zur Stabilisierung unserer
Situation heranziehen.
CCR