PROGNOS-SCHRIFTENREIHE
"IDENTIFIZIERUNG UND INTERNALISIERUNG EXTERNER
KOSTEN DER ENERGIEVERSORGUNG"
im Auftrag
des Bundesministeriums für Wirtschaft
Prof.
Dr. Hans-Jürgen Ewers, Klaus Rennings Universität
Münster
ABSCHÄTZUNG DER SCHÄDEN DURCH EINEN
SOGENANNTEN "SUPER-GAU"
Basel,
im April 1992
Inhaltsverzeichnis:
Tabellen und Abbildungen
Abkürzungsverzeichnis
1. Problembeschreibung
1.1. Der Begriff Super-GAU
1.2. Mögliche Schäden eines Kernschmelzunfalls
1.3. Die Bewertung von Kernschmelz-Risiken
1.4. Das Problem der Unsicherheit
2. Methoden und
Probleme der monetären Bewertung von Gesundheitsrisiken
2.1. Grundsätzliche Überlegungen
2.1.1. Das Problem der Kompensierbarkeit
2.1.2. Die Verwendung von Risikokennziffern
2.1.3. Die Unfreiwilligkeit von Risiken
2.2. Methoden der Bewertung von Gesundheitsrisiken
2.2.1. Wi1lingness to Pay und Wi1lingness to
Accept
2.2.2. Direkte Methoden
2.2.2. Indirekte Methoden
(a) Hedonistische Preisanalyse (HPA)
(b) Humankapitalmethode
3. Quantifizierung
und Monetarisierung
3.1. Darstellung der bisherigen Studien zur
Quantifizierung und Monetarisierung von Super-GAU-Schäden
3.1.1. Die Hohmeyer-Voß-Kontroverse
(a) Die Hohmeyer-Studie
(b) Die Voß-Studie
3.1.2. Die Ottinger-Studie
3.1.3. Die Biblis-Studie
(a) Die Biblis-Szenarien
(b) Die Bewertung der Unfallschäden
3.1.4. Die Krümmel-Studie
3.1.5. Die Ferguson-Studie
3.2. Bewertung der monetären Schäden
eines sogenannten Super-GAU's
3.2.1. Die Repräsentativität des Biblis-Szenarios
3.2.2. Methodische Modifikationen
3.2.3. Gesamtschäden durch einen sogenannten
Super-GAU
4. Der Umgang
mit Super-GAU-Risiken: Internalisierung versus
Ökologischer Rahmen
4.1. Die Internalisierung der Kosten eines Super-GAU's
4.2. Risiko-Limits: Der ökologische Rahmen
4.2.1. Quantitative Risiko-Limits
(a) Safety Goals
(b) Schadensausmaß
(c) Private Versicherbarkeit
4.2.2. Qualitative Standards
(a) Irreversibilität
(b) Unfreiwilligkeit
(c) Auswirkungen auf spätere Generationen
4.2.3. Standardisierte Verfahren der Risikobewertung
5. Forschungsbedarf
Tabellen und Abbildungen
Tabelle 1: Gesundheitsschäden bei alternativen
Unfallszenarien
Tabelle 2: Gesamtschäden eines Super-GAU's
in Biblis
Tabelle 3: Anzahl der Einwohner in der Umgebung
von Kernreaktoren in der BRD
Tabelle 4: Bevölkerungsdichte um Kernreaktoren
in der BRD
Tabelle 5: Gesamtschäden eines Super-GAU's
in der BRD (in Mrd. DM)
Abb. 1: Mögliche
Schadensarten eines Kernschmelzunfalls
Abb. 2: Kerntechnische Anlagen in der BRD im
Jahre 1989
Abkürzungsverzeichnis
:
BAST: Bundesanstalt für Straßenwesen
BMFf : Bundesminister für Forschung und
Technologie
CRM : Contingent Ranking-Metbode
CVM : Contingent Valuation-Methode
DRS Phase B: Deutsche Risikostudie Kernkraftwerke,
Phase B
GAU: Größter anzunehmender Unfal1
GRS : Gesel1scbaft für Reaktorsicherheit
HPA : Hedonistische Preisanalyse
ICRP : Internationale Strahlenschutzkommission
J : Joule
kWh : Kilowattstunde
MW : Megawatt (Mega = 106)
NRC : Nuclear Regulatory Commission
PJ : Petajoule (Peta = 1015)
SBV : Großflächiges Versagen des
Sicherheitsbehälters
TWh : Terawattsunde (Tera = 1012)
VIK : Vereinigung Industriel1e Kraftwirtschaft
WHGK : Wiss. Hauptverwaltungsamt für Geodäsie
und Kartographie, Moskau
wr A : Willingnes to Accept Compensation
WTP : Willingness to Pay
1. Problembeschreibung
1.1. Der Begriff "Super-GAU"
Ein GAU bezeichnet
den größten anzunehmenden Unfall,
gegen den ein
Kernkraftwerk sicherheitstechnisch ausgelegt
sein muß, um eine Betriebs-
genehmigung zu erhalten. Man spricht von "Auslegungsunfällen"
oder
"Auslegungsstörfällen" (Hahn/Sailer,
1987). Welche Unfälle beherrscht werden
müssen, hängt jeweils vom aktuellen
Stand von Wissenschaft und Technik ab, der
sich in Katalogen von Auslegungsstörfallen
niederschlägt (BMFI', 1978).
Ein Super-GAU
dagegen bezeichnet einen Unfall im Rahmen des
sogenannten
Restrisikos, das trotz der sicherheitstechnischen
Auslegung von Kernkraftwerken
verbleibt. Ein solches Restrisiko wird, so eine
Dokumentation der
Bundesregierung, implizit stets eingegangen,
'weil jenseits des abgesicherten
Bereichs stets theoretische Schadensmechanismen
verbleiben, die zwar äußerst
unwahrscheinlich, aber doch physikalisch möglich
sind" (BMFI' , 1978). Analog
spricht man hier von "auslegungsüberschreitenden
Unfällen".
Der Begriff Super-GAU
wird in der Regel synonym mit dem Begriff Kern-
schmelzunfall verwendet, denn "... größere
Mengen an radioaktiven Stoffen
können ...nur freigesetzt werden, wenn
der Brennstoff stark aufgeheizt wird und
schmilzt" (GRS, 1989).
1.2. Mögliche Schäden eines Kernschmelzunfalls
Die möglichen
Schäden eines Kernschmelzunfalls sind vielfältig.
Eine um-
fangreiche Liste von Hahn/Sailer ist in Abbildung
1 aufgeführt. Der aufgeführte
Katalog möglicher Unfallschäden soll
als eine Art Checkliste dienen, mit dessen
Hilfe Studien zur Quantifizierung und Monetarisierung
von Kernschmelzunfällen
daraufl1in überprüft werden können,
in welchem Umfang sie potentielle Schäden
berücksichtigen bzw. vernachlässigen.
Abbildung 1:
Mögliche Schadensarten eines Kernschmelzunfalls
Auswirkungen
auf Leben und Gesundheit der Menschen
- Tote durch Unfalleinwirkungen
- Spättote, z. B. Krebs durch Unfallfreisetzungen
- akut Kranke nach Unfall, wieder heilbar
- chronisch Kranke nach Unfall
- genetische Schäden
- psychische Schäden
- Angst vor weiteren Auswirkungen oder Unfällen
Auswirkungen
auf Infrastruktur
- Trinkwasserverseuchung kurzfristig/langfristig
- Bodenverseuchung ,
- beseitigbare Oberflächenkontamination
- nicht beseitigbare Oberflächenkontamination
- Unbrauchbarmachung von Nachbaranlagen
- Unbrauchbarwerden von sonstiger Infrastruktur
Auswirkungen
auf andere Lebewesen
- Verlust von wirtschaftlich genutzten Lebewesen
- Verlust häufiger wildlebender Lebewesen
- Verlust seltener / aussterbensbedrohter
Arten
- Verlust von Biotopen
Volkswirtschaftliche
Auswirkungen
- Kosten für Messungen und Katastrophenschutz
- Kosten und Folgen der Beseitigung
- Kosten und Folgen der Evakuierung
- Produktionsverluste außerhalb der
Unfallanlage
- Folgekosten von Produktionsverlusten
- Imageverlust für Unternehmen oder Branchen
Soziale und
politische Auswirkungen
- Auswirkungen auf das Verhalten einzelner
- Auswirkungen auf das Verhalten gesellschaftlicher
Gruppen
- Änderungen des Sozialverhaltens
- Änderungen der sozialen und politischen
Maßstäbe
- Änderungen der Gesellschaft und des
politischen Systems
- Beeinträchtigung internationaler Beziehungen
- Proliferation
Ökologische
Auswirkungen
- Auswirkungen auf die Intaktheit der Biosphäre
- Auswirkungen auf ökologische Ressourcen
- Änderung natürlicher Bedingungen
Quelle: Lothar
Hahn, Michael Sailer (1987)
1.3. Die Bewertung
der Unfallrisiken
Das Unfallrisiko
von Kernkraftwerken zählt zu den heikelsten
Problemen im
Rahmen der Bewertung externer Effekte der Energieversorgung.
Die großen
Abweichungen unterschiedlicher Gutachten rühren
daher, daß ein extremes
Verhältnis zwischen dem immens großen
potentiellen Schadensausmaß und der
äußerst geringen Unfallwahrscheinlichkeit
besteht. Je nachdem, ob mehr auf das
potentielle Schadensausmaß oder die Unfallwahrscheinlichkeit
pro Reaktor
abgestellt wird, rangiert die Kernenergie im
Urteil der Gutachter als sicherster
oder als bedrohlichster Energieträger.
Hinzu kommt, daß
ein Kernschmelzunfall Effekte hervorrufen kann,
die mit den
üblichen Methoden zur monetären Bewertung
von Umweltschäden nur schwer
zu messen sind. Gemeint sind Todesfälle,
Konsequenzen für nachfolgende
Generationen und irreversible Umweltschäden.
Auf diese besonderen Effekte
und Möglichkeiten ihrer Internalisierung
wird im Rahmen dieser Untersuchung
einzugehen sein.
Ziel der volkswirtschaftlichen Bewertung von
Super-GAU-Risiken ist es
demnach (Ewers/Rennings, 1991),
- die Größenordnung
der Schäden aufzuzeigen, die aufgrund
von schweren
Reaktorunfällen zu erwarten sind;
- falsche Signale der Strompreise zu korrigieren,
wenn Super-GAU-Risiken
nicht ausreichend versichert und deshalb in
den Strompreisen ungenügend
enthalten sind;
- Aufschluß darüber zu geben, in
welchem Umfang es sinnvoll ist, Mittel zu
investieren, um Unfallrisiken zu verringern
oder zu beseitigen;
- Argumente zu der Frage zu liefern, ob die
bewerteten Externalitäten über
den Preis internalisierbar sind, oder ob sie
aufgrund ihrer besonderen
Qualität (Unfreiwilligkeit des Risikos,
Irreversibilitäten) besonderen
Kriterien unterliegen;
- die Öffentlichkeit zu informieren.
Die Kalkulation von Risiken soll
nachvollziehbar dargestellt werden, wobei
die Grenzen der Bewertung und
unterschiedliche Meinungen zwischen Experten
deutlich zu machen sind.
Die Diskussion zwischen Experten und sogenannten
Laien sollte möglichst
offen geführt werden (Slovic, 1987).
Im Falle von Reaktorunfällen
sind die Unfallkosten nur bis zu einer maximalen
Deckungssumme von 500 Mio. DM versichert. Damit
werden die Kosten aller
darüber hinausgehenden Schäden auf
die Allgemeinheit abgewälzt. Strom aus
Kernenergie wird unter Umständen billiger
angeboten, als es seinen
tatsächlichen Kosten entspricht.
"Das Atomhaftungsrecht
soll in erster Linie dem Opferschutz dienen"
(Pelzer,
1991). Dennoch dürfen rechtlich gesehen
die Deckungssummen nicht so
astronomisch hoch sein, daß damit der
Betrieb eines Kernkraftwerkes praktisch
unmöglich wird, "insbesondere deshalb,
weil haftpflichtige Inhaber einer
Kernanlage nach Gefährdungshaftung, also
ohne Verschulden, für Schäden
durch eine Tätigkeit haftet, die der Staat
in einem förmlichen
Genehmigungsverfahren ausdrücklich zugelassen
hat" (Pelzer, 1991). Aus
rechtlicher Sicht erscheint das Ziel des Opferschutzes
trotz einer möglicherweise
unzureichenden Deckungssumme gewahrt, da im
Falle einer Katastrophe
ohnehin der Staat mit schnellen und unbürokratischen
Hilfen einspringen würde.
Aus ökonomischer Sicht ist jedoch kritisch
zu fragen, ob durch eine solche
Abwälzung der Kosten von Unfallrisiken
auf die Allgemeinheit zu geringe
Anreize bestehen, die Risiken zu senken.
Der ökonomische
Wert von Risiken hängt von mehreren Faktoren
ab, die auch
als Arbeitsschritte der Bewertung zu verstehen
sind (Karl, 1987):
- von der Wahrscheinlichkeit
des Risikos;
- vom Ausmaß des (in Geldeinheiten)
bewerteten Schadens;
- von der Bereitschaft der Wirtschaftssubjekte,
das Risiko einzugehen
(Risikopräferenz).
1.4. Das Problem der Unsicherheit
Ein möglicher
Reaktorunfall zählt zu den Umweltrisiken,
die sich durch ein
hohes Maß an Komplexität auszeichnen
(Ewers/Rennings, 1991).:
- Es ist oft
nicht möglich, einen oder mehrere Schädiger
zu identifizieren. So
läßt sich im Einzelfall nicht immer
nachweisen, ob ein Krebsgeschwür auf
radioaktiven Fallout oder auf andere Umwelteinflüsse
(Ernährung, Abgase,
Nikotin, Einflüsse am Arbeitsplatz usw.)
zurückzuführen ist.
- Es läßt sich vielfach kein Zusammenhang
zwischen einem oder mehreren
schädigenden Ereignissen und dem eingetretenen
Schaden nachweisen. Da
schon heute 20 Prozent unserer Bevölkerung
an Krebs stirbt, ist eine
erhöhte Krebssterblichkeit in der BRD
selbst nach der Katastrophe in
Tschernobyl epidemiologisch kaum zu beobachten
(Wendling, 1986). Im
Einzelfall ist es möglich, daß
erst ein Zusammentreffen mehrerer
Krebsrisiken zu einer Erkrankung führt.
- Der Schaden läßt sich weder in
sachlicher noch in zeitlicher Hinsicht
abgrenzen. Noch heute sterben Atombombenopfer
an den Folgen der
Abwürfe auf Hiroshima und Nagasaki (Schmidt,
1991). Erkrankungen
aufgrund radioaktiver Strahlen können
noch Jahrzehnte später auftreten,
möglicherweise in Form einer Immunschwäche,
die der Körper ohne die
zusätzliche Belastung verkraftet hätte.
Zu den neueren
Veröffentlichungen über die Folgen
von Tschernobyl sind
folgende Anmerkungen zu machen:
1. Weil Strahlenschäden
auch noch nach Jahrzehnten auftreten können,
ist
mit aussagekräftigen empirischen Untersuchungen
über die langfristigen
Folgen des Tschernobyl-Unfalls erst im nächsten
Jahrtausend zu rechnen.
Bis dahin muß auf die bekannten Risikokennziffern
(Berechnung der zu
erwartenden Krebsfälle anhand der Kollektivdosis,
z.B. nach ICRP-Wert)
zurückgegriffen werden. Vor diesem Hintergrund
sind, unabhängig von
methodischen Problemen (vgl. Spiegel 1992,
S. 147) vorläufige
Untersuchungen zu den Folgen von Tschernobyl
wie die der
internationalen Atomenergiebehörde in
besonderem Maße mit dem
Problem der Unsicherheit behaftet (vgl. IAE~
1991).
2. Die verwendeten
Zahlen zum Tschernobyl-Unfall stammen aus
dem
russischen Unfallbericht von 1986. Danach
kam es zu einer Freisetzung von
rund 3,5 Prozent der im Reaktor enthaltenen
Radionuklide und zu einer
Emission von 8-14 Mega-Curie (vgl. Schmidt,
1987, S. 45). Die in einem
neuen Report von Wladimir Tschernosenko (vgl.
Spiegel, 1992)
angegebene Emission von 6,4 Mega-Curie liegt
in der gleichen
Größenordnung. Die Freisetzungsrate
von 3,5 Prozent bezeichnet
Tschernosenko als Legende; er selbst geht
von einer Freisetzungsrate von 80
Prozent aus. In dieser von Tschernosenko angenommenen
Freisetzungsrate
liegt die einzige für die Super-GAU-Studie
relevante Neuheit, deren
Fundiertheit nachzugehen ist. Die Relevanz
besteht darin, daß bei einer
80prozentigen Freisetzung natürlich nicht
mehr davon ausgegangen werden
könnte, daß ein Super-GAU in der
Bundesrepublik zu einer doppelt so
hohen Freisetzung führen würde (
da sie nicht über 100 Prozent liegen
kann). Die Größenordnung der geschätzten
Schäden eines Super-GAU's
(Schäden in Billionenhöhe) dürfte
aber von dieser Frage unberührt bleiben.
Die vorliegende
Arbeit kann aufgrund des beschriebenen Problems
der Un~
sicherheit keine deterministische Aussage über
das Ausmaß und die Folgen eines
möglichen künftigen Super-GAU's machen.
Die Untersuchung stützt sich auf
Expertenaussagen, Szenarien und Wahrscheinlichkeiten,
die mit Hilfe
begründeter Annahmen mögliche Schäden
eines Reaktorunfalls beschreiben und
bewerten.
2. Methoden
und Probleme der monetären Bewertung von
Gesundheitsrisiken
Verluste menschlichen
Lebens stellen in allen Untersuchungen zur Bewertung
von Super-GAU-Schäden die dominante Schadenskategorie
dar. Zudem ergeben
sich gerade in diesem Bereich je nach angewendeter
Bewertungsmethode
auffallend große Unterschiede. So liegen
beispielsweise die Ergebnisse der im
angelsächsischen Raum verbreiteten hedonistischen
Preisanalyse in der Regel
um ein Vielfaches über denen des Humankapitalansatzes,
der in Deutschland
gebräuchlich ist. Um diese Unterschiede
zwischen deutschen und
angelsächsischen Studien aufzuklären,
sollen im folgenden die verschiedenen
Methoden zur Bewertung von Gesundheitsrisiken
erläutert und beurteilt werden.
2.1. Grundsätzliche Überlegungen
2.1.1. Das
Problem der Kompensierbarkeit
Bei der Bewertung
von Gesundheitsrisiken ergibt sich als erstes
Problem, daß
Tote auch mit einem noch so hohen monetären
Wert nicht mehr entschädigt
werden können. Dieses Problem, das grundsätzlich
die Brauchbarkeit der
paretianischen Wohlfahrtsökonomie in diesem
Bereich in Frage stellt, gilt für
alle Bewertungsmethoden. Es ist bei Todesfällen
nicht möglich, den
Hauptgeschädigten besserzustellen oder
zu entschädigen.
Nun geht es bei
der Entscheidung für ein Projekt nicht
um die Frage, wie ein
durch das Projekt Getöteter nachträglich
kompensiert werden kann. Läge ein
solcher Sachverbalt vor, d. h. bestünde
Sicherheit darüber, daß eine bestimmte
Person durch das Projekt zu Tode käme,
dürfte das Projekt erst gar nicht
realisiert werden.
Bei der Entscheidung
für ein Projekt geht es vielmehr darum,
Risiken zu
bewerten, von denen nicht bekannt ist, welches
Individuum tatsächlich ge-
schädigt wird. Diese Risiken gilt es gegen
den Nutzen des Projektes abzuwägen.
Ökonomisch relevant ist also nicht die
Frage, wie der Wert eines bestimmten
Menschenlebens bestimmt werden kann, sondern
die Frage, wie der Wert einer
statistischen Änderung von Gesundheitsrisiken
zu ermitteln ist. Gefragt wird also
nicht nach einer (unmöglichen) Kompensation
ex post (nach dem Todesfall),
sondern nach einer Kompensation ex ante (bei
einer Veränderung der Risiken).
Der ökonomische Wert eines Gesundheitsrisikos
ist demnach der Betragt den die
Individuen für die Vermeidung eines Risikos
zu zahlen bereit sind oder der
Betrag, für den sie eine Ausweitung von
Risiken auf sich nehmen.
Um es noch einmal
zu unterstreichen: Es geht nicht um die Bewertung
eines
speziellen Todesfalles sondern um die Bewertung
eines Risikos, dem eine
Vielzahl von Personen ausgesetzt sind. Bei der
Bewertung ist unbekannt welche
Individuen tatsächlich von Gesundheitsschäden
betroffen sein werden (Ottinger :
et. al.t 1990).
2.1.2. Die Verwendung von Risikokennziffern
Stellt man auf
die Bewertung von Risiken ab, so ist als zweites
Problem die
Verwendung von Risikokennziffern zu hinterfragen.
Konventionell wird das
sogenannte Restrisiko von Kernkraftwerken als
Produkt aus Unfallwahr-
scheinlichkeit und Schadensausmaß gemessen.
Im Falle von Reaktorunfällen
nehmen beide Faktoren extreme Werte an. Das
Schadensausmaß ist außer- ,
ordentlich hoch, die Wahrscheinlichkeit außerordentlich
gering. Durch die
Verwendung von Erwartungswerten wird das hohe
Schadensausmaß verschleiert
(Ottinger et. al.t 1990; Binswanger 1990). Um
dies zu verhindern, beschränken
sich manche Gutachten auf die Untersuchung des
"worst case" (Ewers/Rennings,
1991). Die im folgenden vorgestellten Methoden
greifen jedoch auf den
statistischen Erwartungswert zurück. Welche
Konsequenzen aus bestimmten
-Eigenschaften extremer Risiken (Ausmaß,
lrreversibilität, Auswirkung auf
spätere Generationen) gezogen werden können,
ist Gegenstand von Kapitel 4.
2.1.3.Die Unfreiwilligkeit von Risiken
Ein drittes Problem
der Bewertung von Gesundheitsrisiken ist darin
zu sehen,
daß in der Regel unterstellt wird solche
Risiken würden freiwillig eingegangen.
Ein Super-GAU dagegen ist ein unfreiwilliges
Risiko, dem niemand ausweichen
kann. Die Kosten eines Reaktorunfalls tragen
zwangsläufig alle. Von daher
müssen bezüglich der Akzeptanz des
"Restrisikos" von Kernkraftwerken
besonders hohe Maßstäbe angelegt
werden.
Eine Möglichkeit,
solche Maßstäbe festzulegen, liefert
die "Theorie der Ge-
rechtigkeit" von lohn Rawls (Rawls 1979;
Bog ai 1989; Ewers/Rennings 1991). In
einer entwickelten Gesellschaft, die sich in
einem Zustand nur mäßiger
Güterknappheit befindet, sind nach Rawls
freiheitliche Grundrechte wie das auf
körperliche Unversehrtheit nicht durch
materielle Güter kompensierbar. Kosten-
Nutzen-Überlegungen für eine Maßnahme
greifen erst dann, wenn die
Grundrechte durch die Maßnahme nicht beeinträchtigt
werden können. Der
Kosten-Nutzen-Analyse wird somit eine Vorrangregel
als Restriktion auferlegt.
Der Betrieb von
Kernkraftwerken ist demnach nicht ohne weiteres
legitimiert,
auch dann nicht, wenn das "Restrisiko"
äußerst gering und der wirtschaftliche
Nutzen groß ist. Denn das "Restrisiko"
berührt im Ernstfall die zu schützenden
gesellschaftlichen Grundgüter. Legitimierbar
wäre die Entscheidung für den
Einsatz der Kernenergie erst dann, wenn man
dafür beim Abschluß eines
Gesellschaftsvertrages Einstimmigkeit erwarten
könnte. Dies heißt, daß jeder
Bürger sich in der fiktiven Situation eines
Gesellschaftsvertrages, "unter dem
Schleier der Ungewißheit", ob er
selbst von der Kernenergie profitiert oder nicht,
ob er selbst zu den Opfern eines potentiellen
Reaktorunfalls zählen wird oder
nicht, für den Einsatz der Kernenergie
entscheiden müßte.
Diesen Überlegungen
entsprechen zwei Grundsätze zur Legitimation
von
Risiken, die Meyer-Abich formuliert hat CS.
Meyer-Abich 1990, S. 173( und S.
176):
- Der Einzelne
darf um eines individuellen Ziels willen Gefahren
eingehen,
soweit damit andere, die nicht dieselbe Gefahr
eingegangen sind, nicht
gefährdet werden oder das Risiko aus
sonstigen Gründen z.B. der
Sittlichkeit) nicht zu verantworten wäre.
- Keine noch so große Mehrheit darf
entscheiden, um wirtschaftlicher
Vorteile willen ein Todesrisiko für einzelne
Bürger einzugehen.
Wie wichtig dieses
Problem ist, zeigt sich auch bei der praktischen
Anwendung
von Bewertungsmethoden. Bei der empirischen
Befragung von Zahlungsbereitschaften
werden in der Regel Antworten mit unendlich
hohen Werten
("Verkaufe um keinen Preis", "Kaufe
um jeden Preis") als Proteststimmen aussor-
tiert (Ottinger et. al., 1990). Gerade diese
Stimmen aber zeigen die Akzeptanz
der Risiken eines Energieträgers an. Und
theoretisch reicht eine einzige unend-
lich hohe Entschädigungsforderung oder
Zahlungsbereitschaft aus, um unendlich
hohe soziale Kosten zu erzeugen.
2.2. Methoden zur Bewertung von Gesundheitsrisiken
Prinzipiell lassen
sich Umweltschäden nach zwei Ansätzen
berechnen (Ewers,
1986; Schulz, 1989). Der erste Ansatz, die Analyse
der Willingness to Pay (WTP),
fragt danach, wieviel die Bürger zu zahlen
bereit wären, um eine Verbesserung
der Umweltsituation zu erreichen. Der zweite
Ansatz, die Analyse der
Willingness to Accept Compensation (WTA), fragt
nach der Höhe der
Entschädigung, welche die Bürger fordern
würden, um einen Umweltschaden
hinzunehmen. Ausgangspunkt der Befragung ist
also nach dem in dieser Studie
zugrundegelegten Schadensmaß der Compensating
Variation die Situation nach
einer Änderung der Umweltqualität.
Die Höhe der erforderlichen monetären
Kompensation gibt an, wieviel nach einer Änderung
der Umweltqualität einem
Individuum bezahlt werden muß bzw. wieviel
ein Individuum bezahlt, damit es
ihm nachher genauso gut geht wie vorher.
Die Zahlungsbereitschaft
bzw. die Entschädigungsforderung der Bürger
lassen
sich entweder direkt durch eine Befragung ermitteln
oder indirekt über plausible
Kostengrößen schätzen.
2.2.1. Willingness ta Pay und Willingness
to Accept
Empirische Untersuchungen
haben für die WTP und WT A sehr unterschiedliche
Werte ermittelt. In den meisten Studien ist
die WT A drei bis fünf mal so hoch
wie der Wert der WTP, in manchen Studien sogar
noch höher (PearceITurner,
1990; Ottinger et. al., 1990). Aus zweierlei
Gründen erscheinen diese
Diskrepanzen plausibel (Pearce/Turner, 1990;
Ottinger et. al., 1990):
- Die ökonomische
Theorie vernachlässigt, daß es
in der menschlichen
Psyche einen Referenzpunkt (in der Regel den
Status quo) gibt, von dem
aus Verluste bereits in Besitz befindlicher
Güter weitaus höher gewertet
werden als der Gewinn noch nicht in Besitz
befindlicher Güter. Die WTP
für eine Verbesserung des Status quo
ist daher geringer als die WTA für
eine Verschlechterung des Status quo.
- Das Befragungsdesign
der Erhebungen ist zu simpel. Es müssen
Anreize in
die Befragung eingebaut sein, ehrliche Antworten
zu geben, und es müssen
Informationen geliefert werden, die dem Befragten
helfen, die
Entscheidungssituation nachzuvollziehen. Ohne
ein sehr sorgfältiges
Befragungsdesign besteht die Gefahr, daß
die Befragten aus strategischen
Gründen ihre Zahlungsbereitschaften untertreiben
und/oder ihre
Kompensationsforderung übertreiben. Möglicherweise
ist aber auch die
Angabe sehr hoher Kompensationsforderungen
und sehr niedriger Zah-
lungsbereitschaften eine ehrliche Aussage
darüber, wie sich die Befragten
ihr Verhalten auf einem fiktiven Markt für
Umweltgüter vorstellen. Es
kann schlicht ein Mangel an Lernprozessen
(Feedback, Erfahrung) se~
weil es sich bei Befragungen lediglich um
eine Marktsimulation handelt
Es entspricht
der täglichen Erfahrung auf allen Märkten
für neue Produkte, daß
zunächst unrealistisch hohe Preisforderungen
und unrealistisch niedrige
Zahlungsbereitschaften aufeinandertreffen, bis
sich schließlich durch einen
Lernprozess ein Gleichgewicht zwischen Angebot
und Nachfrage einpendelt.
Solche Feedback-Prozesse fehlen auf fiktiven
Umweltmärkten, so daß Äu-
ßerungen möglicherweise einfach unrealistisch
sind und deshalb WTP und WTA
weit auseinanderklaffen. Es hat sich gezeigt,
daß Antworten der gleichen
Personen bei wiederholten Befragungen zunehmend
den Verlauf normaler
Nachfragekurven widerspiegeln, was darauf zurückgeführt
wird, daß bei den
Befragten Lernprozesse stattgefunden haben (Pearce/Turner,
1990).
Bei einer empirischen
Erhebung des Wertes von Gesundheitsrisiken ist
daher ein
sehr sorgfältiges Befragungsdesign zu wählen
(Anreiz zu ehrlichen Antworten,
Informationen über Entscheidungssituation,
Rückkopplungen einbauen). Da im
Zweifel zudem immer der niedrigere Schätzwert
vorzuziehen ist, sollte die WTP
gemessen werden.
2.2.2. Direkte Methoden
Die Methoden der
direkten Befragung nach Zahlungsbereitschaften
werden
unter dem Begriff der Contingent Valuation (CVM)
zusammengefaßt. Vor- und
Nachteile der CVM sind nach Hoevenagel (Hoevenagel
1991a, 1991b):
Vorteile der
CVM:
- ihre weitreichenden
Anwendungsmöglichkeiten (bei vielen Umweltgütern
ist sie die einzige Möglichkeit);
- die Möglichkeit, non user-values zu
messen;
- die Erhebung eigener Daten;
- die direkte und umfassende Messung der Konsumentenrente.
Befragungen haben
grundsätzlich den Vorzug, auch die Zahlungsbereitschaft
zur
Vermeidung intangibler Schäden (wie etwa
psycho-sozialer Kosten) zu erfassen.
Die Methoden der Contingent Valuation sind somit
vom Ansatz her am ehesten
in der Lage, Wohlfahrts- bzw. Nutzenänderungen
auf der Basis individueller und
subjektiver Präferenzen umfassend zu messen.
Nachteile der
CVM:
- basiert auf
mündlichen Angaben über das Verhalten
(bzw. über die WTP);
- Ergebnisse reagieren sensibel auf Art der
Fragestellung;
- verlangt deshalb differenziertes Befragungsdesign,
was die CVM sehr
aufwendig macht;
- verlangt vom Befragten Entscheidungen, die
er vorher nie getroffen hat.
Überschätzt
wird häufig die Möglichkeit strategischer
Antworten der Befragten.
Diese lassen sich durch ein differenziertes
(und aufwendiges) Befragungsdesign
kontrollieren, so daß die Gefahr der Manipulation
der CVM weniger vom
Interviewten, sondern eher vom Forscher ausgeht.
Wegen ihrer theoretischen
und praktischen Vorzüge gilt die CVM dennoch
als die beste Methode zur
Messung von Umweltschäden (Buchanan 1991;
Hoevenagel1991a, 1991b; Ewers
1986; Mishan 1971).
Unzulässig
wäre bei der Anwendung der CVM zur Bewertung
von Gesund-
heitsrisiken die Fragestellung, wie hoch der
Befragte den Wert seines eigenen
Lebens ansetzen würde. Dieser wird natürlich
unendlich hoch bewertet. Zulässig
ist nur die Frage nach der WTP zur Verringerung
von Risiken bzw. nach der
WTA, für die er zusätzliche Risiken
eingehen würde. Oft wird beispielsweise
gefragt, welche Risikozulagen Individuen für
bestimmte risikobehaftete
Tätigkeiten verlangen würden.
Die CVM ist zur
Bewertung von Gesundheitsrisiken bereits verbreitet.
Die
Ergebnisse divergieren je nach Fragestellung
und Art des untersuchten Risikos.
Violette/Chestnut geben in einem Überblick
über verschiedene ältere Studien
eine Bandbreite des Wertes tödlicher Gesundheitsrisiken
an, die -auf das Jahr
1986 fortgeschrieben- zwischen 315.000 US-$/Todesfall
und 7,4 Mio. US-
$/Todesfall liegt (McDaniels, 1988).
Im Bereich von
Kernenergierisiken ist die CVM noch kaum angewendet
worden.
Einen ersten Ansatz in diese Richtung liefert
eine Studie der Washington State
University unter Leitung von George Hinman im
Auftrag der Bonneville Power
Administration (Buchanan 1991; Hinman et. al.
1990). Die Studie ermittelt aus
einer Haushaltsbefragung in Washington, Oregon,
Idaho und einem Teil von
Montana eine Bereitschaft der Bürger, für
die Vermeidung von Kernenergie
einen Aufschlag von durchschnittlich 37,32 US-$
pro Jahr auf die Stromrechnung
in Kauf zu nehmen. Für die gesamte Region
(3,56 Mio. E) beträgt die
Zahlungsbereitschaft zur Vermeidung aller nuklearen
Risiken ( dazu zählen auch
die Risiken der Endlagerung) Risiken 52,8 Mio.
US-$ pro Jahr. Aus der
Befragung, die nicht speziell nach der WTP zur
Vermeidung von
Reaktorunfällen fragt, läßt
sich allerdings nicht der monetäre Wert
von Super-
GAU-Risiken ableiten.
Die Methode des
Contingent Ranking (CRM) ist eine Spielart der
Conjoint
Analyse, die als empirisches Marktforschungsinstrument
im Marketing verbreitet
ist. Die Grundidee besteht in der Annahme, daß
der Nutzen eines Gutes aus
seinen Eigenschaften resultiert und daß
die Nutzeneffekte dieser Eigenschaften
(sog. Teilnutzenwerte) separat ermittelt werden
können. Es handelt sich also um
ein "Verfahren, das auf Basis empirisch
erhobener Gesamtnutzenwerte versucht,
den Beitrag der einzelnen Komponenten zum Gesamtnutzen
zu ermitteln"
(Backhaus et. al., 1990). Zum Beispiel läßt
sich untersuchen, wie wichtig dem
Energieverbraucher die Kriterien Sicherheit
und Umweltfreundlichkeit im
Vergleich zu anderen Eigenschaften des Produktes
sind, und welchen Preis er
dafür zu zahlen bereit wäre. Der Befragte
ordnet Produktvariationen
entsprechend seinen Nutzenvorstellungen in eine
Rangliste, wobei sich die
Produktvariationen aus unterschiedlichen Zusammenstellungen
verschiedener
Produkteigenschaften unter Einfluß des
jeweiligen Preises ergeben.
In der Umweltökonomie
wurde das Verfahren bisher selten angewandt.
Bei-
spiele für empirische CR-Untersuchungen
sind die Bewertung einer verbesserten
Wasserqualität oder einer Reduktion von
Dieselgeruch bei Fahrzeugmotoren
(Hoevenagel, 1991b). Der Wert vermiedener Gesundheitsrisiken
wurde bislang
nicht untersucht.
2.2.3. Indirekte Methoden
Wegen der Probleme
(aber auch vor allem der Kosten) einer direkten
Befragung
wurde bei der Bewertung von Menschenleben in
der Vergangenheit auf indirekte
Verfahren zurückgegriffen, die individuelle
Präferenzen anhand plausibler
Kostengrößen schätzen. In der
Literatur werden meist vier indirekte Verfahren
zur Bewertung von Menschenleben genannt (Mishan,
1971; Hanusch, 1987). Sie
lassen sich in sogenannte objektive und subjektive
Methoden unterteilen. Die
wichtigsten dieser Verfahren, die Humankapital-Methode
("objektiv") und die
hedonistische Preisanalyse ("subjektiv"),
sollen im folgenden kurz erläutert und
beurteilt werden.
(a) Hedonistische
Preisanalyse (HPA)
Hedonistische
Preisanalysen schätzen implizit die Preise
von Umweltgütern,
indem sie Preise von Gütern mit unterschiedlicher
Umweltqualität vergleichen.
So können die Preisdifferenzen von Häusern
in unterschiedlichen Wohnlagen
Aufschluß geben, wieviel die Wirtschaftssubjekte
für Umweltqualitäten wie Ruhe
und saubere Luft zu bezahlen bereit sind (Pearce/Turner,
1990; Ewers/Schulz,
1982). Die HP A ist in den Vereinigten Staaten
bei der Bewertung von
Gesundheitsrisiken bereits umfangreich erprobt
(Ottinger et. al., 1990). Die
empirischen Studien vergleichen die Löhne
für Tätigkeiten unter
lebensgefährlichen Risiken mit Löhnen
für Tätigkeiten ohne diese Risiken.
Die
ermittelte Differenz wird als Lohnzulage für
das eingegangene Unfallrisiko
interpretiert. Die Lohnzulage drückt somit
als Kompensationszahlung den
ökonomischen (Markt-)Wert des mit der Tätigkeit
verbundenen Risikos aus und
läßt sich zur Bewertung des Risikos
eines tödlichen Unfalls heranziehen.
In der Ottinger-Studie
wird ein konservativer Mittelwert aus 10 Studien
ermittelt,
der bei 4 Mio. US-$/Todesfall liegt. Die Bandbreite
von acht der
zugrundegelegten Studien, die Risikozulagen
nach der Methode der HP A
ermitteln, liegt zwischen 0,7 und 12,8 Mio.
US-$. Die verbliebenden zwei Studien
leiten wie Ottinger Werte aus anderen empirischen
Studien ab, die auch
vomehrn1ich die HP A angewendet haben.
Ein Beispiel für
die Berechnung von Gesundheitsrisiken nach der
Methode der
HPA: Ein Bauarbeiter, dessen statistische Wahrscheinlichkeit
eines tödlichen
Berufsunfalls in seinem Arbeitsbereich bei Null
liegt, bekommt das Angebot,
eine vergleichbare Tätigkeit beim Bau eines
Alpentunnels auszuüben. Bei
derartigen Baumaßnahmen verunglückt
jährlich einer von 1.000 Arbeitern
tödlich. Der Bauarbeiter ist bereit, das
Angebot anzunehmen, wenn er zusätzlich
zu seinem bisherigen Lohn von 15 DM/Stunde eine
Gefahrenzulage von 3
DM/Stunde erhält, wodurch sein Jahreslohn
um 6.000 DM steigt. Die
Kompensation für das Risiko eines tödlichen
Unfalls von 1 : 1.000 beträgt also
6.000 DM. 1.000 Arbeiter, von denen irn statistischen
Durchschnitt einer tödlich
verunglücken würde, müßten
mit 6 Mio.DM kompensiert werden. Der monetäre
Wert des tödlichen Unfallrisikos beträgt
in diesem Falle 6 Mio. DM.
Der Vorteil der
HPA beruht darauf, daß sie ihre Ergebnisse
aus beobachtetem
(und nicht bloß verbal bekundetem) Verhalten
ableitet. Nachteile sind die der
Methode zugrundeliegenden Annahmen, daß
- die Risiken
freiwillig eingegangen werden;
- auf andere Risiken übertragbar sind
(Hoevenagel 1991b);
- die Lohndifferenzen ausschließlich
auf unterschiedliche Risiken zu-
rückzuführen sind.
Das letztgenannte
Problem läßt sich durch eine ökonometrische
Kontrolle der
den Lohn beeinflussenden Faktoren lösen
(Ottinger et. al., 1990). Schwerer
wiegen die beiden anderen Nachteile. Bei einem
Bauarbeiter handelt es sich um
ein freiwilliges Risiko. Es ist fraglicht ob
die Risikozulage des Bauarbeiters zur
Bewertung von Kernenergie-Risiken herangezogen
werden kann. Im Falle der
Kernenergie-Risiken fehlt nicht nur die angenommene
Freiwilligkeit, es wird
darüberhinaus das psychologische Phänomen
vernachlässigt daß die
Risikoaversion mit dem absoluten Unfallausmaß
steigt (Ottinger et. al. 1990).
Das Phänomen,
daß die Risikoaversion der Bevölkerung
mit zunehmendem
absoluten Schadensausmaß wächst,
hat Binswanger als "psychologisches Risiko"
bezeichnet (Binswanger, 1990). Auch hierzu ein
Beispiel: Unter Be-
rücksichtigung des "psychologischen
Risikos" (das sich in der WTP bzw. WTA
niederschlägt), ist etwa die WTP, das Risiko
eines Flugzeugabsturzes mit 100
Todesopfern zu verringern, größer
als die WTP, das Risiko von 100 Autounfällen
mit jeweils einem Todesopfer zu verringern.
Es gibt aber bislang keine
empirischen Studien, die dieses "psychologische
Risiko" als zunehmende WTP
pro Schadenseinheit quantifizieren. Allerdings
könnte das Phänomen des
"psychologischen Risikos" dazu beitragen,
bisher verwirrende Ergebnisse
empirischer CVM-Studien zu erklären, die
eine WTP zur Verhinderung eines
tödlichen Unfalls bei einem Flugzeugabsturzes
ermittelt haben, die hundert mal
so hoch ist wie die WTP zur Verhinderung eines
Todesfalls bei einem Autounfall
(McDanielst 1988).
Ein konstanter
"Kostensatz" pro Todesfall unterschätzt
demnach tendenziell die
Risiken mit hohem Schadensausmaß. Die
WTP zur Senkung von Risiken kann
deutlich von einer rein "technischen"
Bewertung in Form einer Addition von
Todesfällen abweichen, gemäß
dem Grundsatz der Wohlfahrtstheorie, daß
allein
die subjektiven individuellen Präferenzen
über den Wert eines Gutes (bzw.
Risikos) entscheiden (Mishant 1971).
Weil allein die
subjektive, individuelle Zahlungsbereitschaft
über den öko-
nomischen Wert von Risiken entscheidet, kann
es durchaus vorkommen, daß die
WTP der Bevölkerung zur Verringerung von
Risiken im Zeitablauf steigt
(superiores Gut) und einen wachsenden Wert der
Risiken signalisiert, obwohl
"objektiv" die Risiken gesunken sind,
denen eine Bevölkerung ausgesetzt ist.
Die
sozialen Kosten eines Super-GAU's können
also auch dann noch steigen, wenn
die Wahrscheinlichkeit eines solchen Unfalls
abnimmt.
(b) Humankapitalmethode
Der sogenannte
Humankapitalansatz berechnet den Produktionsausfall,
der
durch den Unfall entsteht. Die gebräuchlichste
Methode besteht darin, die
erwarteten Einkünfte des Opfers auf den
Gegenwartszeitpunkt abzuzinsen. Der
so erhaltene Wert soll einen Anhaltspunkt für
den entgangenen Nutzen liefern,
der dem betreffenden Individuum durch seinen
frühzeitigen Tod entstanden ist.
Der Wert wird dann noch gegebenenfalls ergänzt,
indem Faktoren wie Leiden,
Trauer oder weitere Nutzenverluste Dritter durch
einen Todesfall hinzugezählt
werden.
Grundsätzlich
messen Ökonomen den individuellen Nutzen
eines wirt-
schaftssubjektes anhand dessen Konsummöglichkeiten.
Erwerbsunfähigkeit
infolge eines Unfalls führt zu verringerten
Konsummöglichkeiten, die teilweise
das Unfallopfer selbst und teilweise die Allgemeinheit
(über Transferleistungen)
zu tragen hat. Insofern stellt der Produktionsausfall
bei Erwerbsunfähigkeit
durch Invalidität ein vernünftiges
Maß für die schadensbedingte Verringerung
der Konsummöglichkeiten dar. Es wäre
widersinnig, wollte man bei
Erwerbsausfall durch Tod nicht mindestens das
für die Bewertung gelten lassen,
was schon im Invaliditätsfall als .Schaden
zugemessen wurde. Deshalb kann der
Produktionsausfall als Mindestmaß zur
monetären Bewertung von
Menschenleben herangezogen werden, in der Gewißheit,
daß die Verluste im
Todesfall weitaus größer sind (Ewers/Rennings,
1991).
In Deutschland
ist der Humankapital-Ansatz bislang der einzig
gebräuchliche zur
Bewertung von Gesundheitsrisiken. In der Statistik
des Straßenverkehrs etwa
wurden nach dieser Methode für einen tödlich
Verunglückten irn Jahre 1989 1,32
Mio. DM angesetzt (BAST, 1989). Hohmeyer berechnete
für einen tödlichen
Krebsfall 1 Mio. DM, für einen nicht-tödlichen
Krebsfall 0,5 Mio. DM.
Für die Humankapital-Methode
spricht eine gewisse Plausibilität und
das
einfache Berechnungsverfahren. In der Literatur
wird der Ansatz jedoch bereits
seit 20 Jahren als theoretisch falsch abgelehnt
(Schulze/Kneese 1981; Conley
1976; Mishan 1971), da er keine Auskunft über
die subjektiven Präferenzen für
die Vermeidung von Risiken bzw. die subjektiven
Nutzeneinbußen bei einer
Erhöhung von Risiken gibt.
Da der Humankapitalansatz
nicht auf die ökonomische Bewertung von
Risiken
abstellt, sondern auf die Bewertung von Menschenleben,
provoziert er ethische
Diskussionen, ob der Wert eines Menschenleben
meßbar sei. Wie
Schulze/Kneese schreiben: "Unglücklicherweise
haben sich die Ökonomen ein
blaues Auge bei dem Versuch zugezogen, Sicherheitsprogramme
zu bewerten, in
der Annahme, der Wert eines Menschenlebens könne
anhand der
Produktionsausfälle aufgrund der verkürzten
Lebensdauer durch tödliche
Unfälle ermittelt werden" (Schulze/Kneese,
1981. Übersetzung durch die
Verfasser). Von der Diskussion um die Bewertung
von Menschenleben wird
inzwischen deutlich Abstand genommen: Ökonomen
beschränken sich darauf,
Gesundheitsrisiken anhand einer ex ante-Kompensation
zu bewerten (Ottinger
et. al., 1990).
Die "moderneren"
Methoden der HPA und CVM haben bisher allerdings
le-
diglich auf dem Gebiet tödlicher Gesundheitsrisiken
(Mortalität) verwertbare
Ergebnisse erbracht. Für die Bewertung
von nicht-tödlichen Gesundheitsrisiken
liegen kaum empirische Studien vor (Ottinger
et. al., 1990; Baumann/Ferguson
1991), so daß in diesem Bereich bis auf
weiteres auf den Humankapital-Ansatz
zurückgegriffen werden muß.
3. Quantifizierung
und Monetarisierung
3.1. Darstellung der bisherigen Studien zur
Quantifizierung und
Monetarisierung von Super-GAU-Schäden
3.1.1 Die Hohmeyer-Voß-Kontroverse
Die grundlegende
Studie zur Bewertung von Reaktorunfällen
in der BRD
stammt von Olav Hohmeyer. Sie berechnet allein
für Krebsfälle, verursacht
durch einen Kernschmelzunfall in einer dicht
besiedelten Region wie Biblis,
Kosten in Höhe von 1,8 Billionen DM (Hohmeyer,
1989). Üblicherweise werden
die Kosten jedoch nicht als absolute Größe
angegeben, sondern in Relation zu
der Anzahl der Energieeinheiten gesetzt, die
ein Reaktor während der
Zeitperiode erzeugt, in der im statistischen
Durchschnitt ein Super-GAU zu
erwarten ist. Auf die in dieser Zeitperiode
erzeugten Kilowattstunden
umgerechnet, ermittelt Hohmeyer externe Kosten
pro kWh zwischen 1,2 und 12
Pf/kWh. Eine andere Studie unter Leitung von
Alfred Voß kommt dagegen "nur"
auf einen Gesamtschaden eines schweren Reaktorunfalls,
der zwischen 0,008 und
0,07 Pf/kWh liegt (Voß et. al., 1990).
Die Ergebnisse liegen also sowohl im
unteren als auch im oberen Schätzungsbereich
um mehr als zwei
Zehnerpotenzen auseinander.
Ein Teil dieser
Differenzen ist auf die Annahme unterschiedlicher
Unfall-
wahrscheinlichkeiten zurückzuführen.
Auf diese Unterschiede soll im folgenden
nicht eingegangen werden, da beide Studien vor
der Veröffentlichung der
Deutschen Risikostudie Kernkraftwerke, Phase
B (Im folgenden abgekürzt mit
DRS Phase B) (GRS) 1989) erstellt wurden und
deshalb deren Ergebnisse noch
nicht einbeziehen konnten. Durch die Risikostudie
wurde in diesem Punkt
offenbar ein Konsens geschaffen, wobei die Grenzen
probabilistischer
Risikostudien immer zu berücksichtigen
sind (Birkhofer, 1986; Lind, 1987). Nach
der DRS Phase B ist für einen Reaktor des
Typs Biblis B nur etwa alle 33.300
Jahre mit einem Kernschmelzunfall zu rechnen.
Außer acht gelassen sind dabei
anlageninterne Notfallmaßnahmen im Rahmen
des sogenannten Accident-
Managements, da noch keine sicheren Erkenntnisse
darüber vorliegen) ob diese
Maßnahmen einen positiven Beitrag zur
Senkung des Unfallrisikos leisten
können (Fischer et. al., 1989). Bei einem
massenhaften Einsatz der Kernenergie
addiert sich das Risiko entsprechend der Anzahl
der eingesetzten Reaktoren.
Abgesehen von
den unterschiedlichen Annahmen bezüglich
der Unfallwahr-
scheinlichkeiten verbleiben Differenzen in Höhe
einer Zehnerpotenz, die in den
folgenden Abschnitten erklärt werden sollen.
(a) Die Hohmeyer-Studie
Hohmeyer beschränkt
sich bei der Ermittlung von Super-GAU-Schäden
darauf,
das Ausmaß der zu erwartenden Gesundheitsschäden
abzuschätzen. Er schätzt
die Produktionsverluste, die durch Krebsfälle
infolge eines Reaktorunfalls
entstehen. Psycho-soziale Kosten wie Trauer
und Schmerz sowie Kosten des
Gesundheitssystems bleiben unberücksichtigt.
Ausgangspunkt der Schätzungen
von Hohmeyer sind die globalen Gesundheitsschäden,
die der Unfall in
Tschernobyl verursacht hat (Hohmeyer, 1989).
Aufgrund sowjetischer
Veröffentlichungen geht er davon aus, daß
die Bevölkerung durch den Unfall in
Tschernobyl einer Strahlendosis von 240 Mio.
Personen-rem ausgesetzt wurde.
Da ein vollständiges Schmelzen des Reaktorkerns
verhindert werden konnte,
traten bei diesem Unfall insgesamt nur vier
Prozent des radioaktiven Inventars
des Reaktors aus.
Eine Mio. Personen-rem
sind eine Strahlendosis von einer Mio. rem,
denen eine
nicht näher bestimmte Anzahl von Personen
ausgesetzt ist. Die Angabe einer
Immission von einer Mio. Personen-rem läßt
offen, ob eine Mio. Menschen
jeweils ein rem oder 100.000 Menschen jeweils
10 rem erhalten haben. Personen-
rem sind somit ein Maß für die biologisch
wirksame Kollektivdosis, der die
Bevölkerung ausgesetzt ist (Schmidt, 1987).
Bei der Bewertung
von Gesundheitsschäden wendet Hohmeyer
die
Humankapital-Methode an. Er berechnet für
einen Krebstod Produktions-
verluste von 20 Erwerbsjahren a 50.000 DM, also
eine Summe von einer Million
DM. Ein nicht tödlich verlaufender Krebsfall
kostet die Volkswirtschaft nach
seinen Annahmen eine halbe Million DM, weil
10 Erwerbsjahre ausfallen. Ein
Krebsfall wird demzufolge, bei einer angenommenen
Sterblichkeitsrate von 50
Prozent, mit einem Durchschnittswert von 750.000
DM bewertet.
Eine weitere wichtige
Größe zur Berechnung der Gesundheitskosten
ist die
Anzahl der Personen, die an Krebs erkranken,
wenn durch einen Reaktorunfall
eine bestimmte radioaktive Strahlendosis freigesetzt
wird. Das Krebsrisiko wird
meist in der Einheit Tumore pro Mio. Personen-rem
angegeben. Hohmeyer legt
einen Wert von 1.000 zugrunde.
Tabelle I: Gesundheitsschäden bei
alternativen Unfallszenarien
(n. Hohmeyer)
|
a)Tschernobyl-Unfall |
b
)Tschernobyl-Unfall in BRD |
c)Biblis-Unfalllaut
DRS Phase B |
Freiges.
Radioaktivität
(Mio. Pers.-rem) |
240 |
240 |
240mal
5 |
Krebsfälle/
Mio. Pers.-rem |
1.000
|
1.000 |
1.000 |
Multiplikator
für
Bevölkerungsdichte
(in tausend) |
1 |
10 |
10 |
Krebsfälle
(in tausend) |
240
|
2.400
|
12.000 |
Produktionsausf./
Krebsfall
(in tausend DM) |
750
|
750
|
750 |
Produktionsausf./
Unfall wg. Krebs
(in Mrd. DM) |
180
|
1.800 |
9.000 |
Bewertete Gesundheitsschäden
a) des Tschernobyl-Unfalls
b) eines Unfalls der Größenordnung
von Tschernobyl in der BRD
c) eines Unfalls mit maxima1cn Freisetzungsraten
anhand von Daten aus der DRS Phase B
(Referenzanlage Biblis B)
(Angaben nach Hohmeyer 1989, S. 72 und 1990,
S. 5).
Das Personen-rem-Konzept stellt nur auf die
Kollektivdosis ab und unterscheidet
nicht danach, ob sich ein Unfall in einer dünn
besiedelten Region wie
Tschernobyl oder in einer Ballungsregion wie
Biblis ereignet. Weil aber in einem
Ballungsgebiet eine höhere Anzahl von Menschen
einer Gesundheitsgefährdung
ausgesetzt ist als in einem vergleichsweise
dünn besiedelten Gebiet wie der
Region um Tschernobyl, führt Hohmeyer zur
Umrechnung der Tschernobyl-
Erfahrungen eine Gewichtung für die Bevölkerungsdichte
ein. Hier gelten
folgende Faktoren:
- Die Bevölkerungsdichte
in der BRD ist im Vergleich zur Tschernobyl-
Region etwa siebenmal höher .
- Während beispielsweise in Tschernobyl
in direkter Umgebung des
Atommeilers weniger als 100.000 Personen wohnten,
sind es in der BRD an
dicht besiedelten Orten wie Biblis mehr als
3 Mio. Menschen, die im
Ernstfall besonders hoher Strahlung ausgesetzt
sind.
Aufgrund dieser Unterschiede erscheint es Hohmeyer
angemessen, bezogen auf
den Ausgangspunkt Tschernobyl für die BRD
zehnmal höhere Werte an-
zusetzen.
Entsprechend der
genannten Angaben errechnet Hohmeyer für
den Tscher-
nobyl-Unfall Krebsschäden in Höhe
von 180 Mrd. DM und für einen Unfall vom
Typ Tschernobyl in der BRD 1,8 Bil1ionen DM.
Der dritte in Tabelle 1
aufgeführte Schadenswert in Höhe von
9 Billionen DM stammt aus einer
neueren Berechnung, welche sich auf die Freisetzungsraten
von Radioaktivität
stützt, die die Deutsche Risikostudie Kernkraftwerke,
Phase B einen Super-
GAU in Biblis angibt (GRS, 1989; Hohmeyer, 1990).
Die in der DRS Phase B
genannten, größtmöglichen Freisetzungsraten
sind danach etwa fünfmal höher
als die von Tschernobyl.
(b) Die Voß-Studie
Einwände
gegen die Vorgehensweise von Hohmeyer erhebt
eine Studie unter
-Leitung von Alfred Voß (Voß et.
al., 1990). Die zentrale Kritik von Voß
an der
Hohmeyer-Studie zielt auf die Vergleichbarkeit
der Fälle: Die Tschernobyl-
Katastrophe könne nicht zum Ausgangspunkt
für Reaktorunfälle in der BRD
gemacht werden.
Die Kritik basiert
auf der in der ersten Auflage der Voß-Studie
beschriebenen
Annahme, das Gefahrenpotential einer deutschen
Anlage wie Biblis B liege "um
mindestens eine Größenordnung unter
den in Tschernobyl gemessenen
Freisetzungsraten" (Voß et. al.,
1989). Die unterschiedlichen Größenordnungen
der Super-GAU-Schäden bei Hohmeyer und
Voß lassen sich daher im
wesentlichen darauf zurückführen,
daß sie von einem Reaktorunfall un-
terschiedlicher Größenordnung ausgehen.
Voß fordert,
um "zu einer verläßlichen abgesicherten
ökonomischen Bewertung
hypothetischer Reaktorunfälle für
die BRD zu gelangen, ...eigenständige
Untersuchungen, insbesondere unter Einbeziehung
von Ergebnissen der
Deutschen Risikostudie Kernkraftwerke, Phase
B" (Voß et. al., 1990). Diese
Forderung führt aber, wie bereits in Abschnitt
(a) gezeigt wurde, nicht zu
niedrigeren, sondern zu höheren Schäden
als ein Reaktorunfall des Ausmaßes
von Tschernobyl.
Neben dem Vergleich
von deutschen und sowjetischen Reaktorunfällen
be-
mängelt Voß an der Untersuchung von
Hohmeyer, daß neben den Gesund-
heitsschäden anfallende soziale Kosten
durch
- Evakuierung;
- langfristige Schutzmaßnahmen in Form
von Dekontamination verseuchter
Gebiete (Umpflügen von Äckern und
Böden, Abtragung von Böden, zeitweilige
Umsiedlung der Bevölkerung);
- landwirtschaftliche Produktionsausfälle;
- Verlust von persönlichem Einkommen
sowie Einkommen von Firmen und
Vermögensverluste durch die Sperrung
von Landstrichen;
unberücksichtigt
bleiben. Zudem werde unterschlagen, daß
Schäden bis zu O,5
Mrd. DM über die atomrechtliche Deckungsvorsorge
versichert sind und somit
bereits von der Kernenergie getragen werden.
Die aufgezählten
Umweltschäden, die nach Auffassung von
Voß zusätzlich zu
berücksichtigen sind, wurden in der Biblis-Studie
(Ewers/Rennings, 1991) auf
ihre Relevanz für einen Super-GAU in der
BRD überprüft. Auf sie wird daher
im Rahmen der Darstellung der Biblis-Studie
näher eingegangen.
Die Voß-Studie
stützt sich bei ihren Berechnungen -da
Tschernobyl als Maßstab
abgelehnt wird - auf eine amerikanische Untersuchung,
der noch die
Risikostudie von Rasmussen aus dem Jahre 1975
zugrundeliegt (WASH 1400,
1975). Die amerikanische Untersuchung bewertet
neben Gesundheitskosten
sämtliche Schadenskategorien, die Voß
bei Hohmeyer vermißt. Dennoch liegt
das Ergebnis eine Größenordnung unter
dem Wert, den Hohmeyer allein für
Gesundheitsschäden berechnet. Dies liegt,
wie Voß selbst einräumt, daran, daß
die älteren amerikanischen Ergebnisse nicht
direkt auf die heutige Situation in
der BRD übertragbar sind. Vor allem liegt
die Ursache der Abweichung darin,
daß wesentlich niedrigere Freisetzungsraten
angenommen werden.
3.1.2. Die Ottinger-Studie
Eine Analyse der
PACE-University zur Bewertung der externen Kosten
der
Elektrizität unter Leitung von Richard
Ottinger berechnet mögliche Gesund-
heitsschäden und Besitzverluste aufgrund
von Reaktorunfällen in den Verei-
nigten Staaten von Amerika (Ottinger et. al.,
1990). Auf der Basis der ge-
schätzten Tschernobyl-Folgen ermittelt
die Studie externe Effekte in Höhe von
2,3 cents/kWh, wovon 2 cents/kWh auf Gesundheitsschäden
und 0,3 cents/kWh
auf Besitzverluste in Form von Agrarschäden
entfallen. Die absoluten Beträge
belaufen sich auf 579 Mrd. US-$ für Gesundheitsschäden
und auf 34 bis 73 Mrd.
US-$ für Verluste an Agrarproduktion.
Die Ottinger-Studie
geht von einer Wahrscheinlichkeit eines Kernschmelzunfalls
aus, die bei einem Unfall pro 3.333 Reaktorbetriebsjahre
liegt. Die Schätzung
stammt von der NRC und besagt, daß sich
in den USA innerhalb von 20 Jahren
mit 45prozentiger Wahrscheinlichkeit in einem
der 109 US-Reaktoren ein
schwerer Kernschmelzunfall ereignen wird.
Die Bewertung
der Schäden aufgrund von Strahlenkrebs
orientiert sich
weitgehend an Hohmeyers Vorgehensweise. Es wird
eine Freisetzung radio-
aktiver Substanzen in der Größenordnung
von Tschernobyl angenommen. Die
Schätzung der Krebsschäden erfolgt
in Anlehnung an die US-amerikanische
Akademie der Wissenschaften, die von 770 Krebsschäden
pro Mio. Personen-
rem ausgeht.
Bei der Bewertung
von Krebsschäden setzt die Ottinger-Studie
im Vergleich zu
Hohmeyer wesentlich höhere monetäre
Kostensätze an. Ein tödlicher Krebsfall
kostet 4 Mio. US-$, ein nicht-tödlicher
Krebsfall 400.000 US-$. Die
bemerkenswert große Differenz zu den bundesdeutschen
Schätzungen ist auf die
Verwendung unterschiedlicher Bewertungsverfahren
zurückzuführen. Die
Ottinger- Werte von 4 Mio. US-$ pro Todesfall
basieren auf einer Auswertung
von acht empirischen Studien nach dem Verfahren
der hedonistischen
Preisanalyse.
Ottinger ermittelt
absolute Krebsschäden in Höhe von
578 Mrd. US-$ (140.000
tödliche Krebsschäden a 4 Mio. US-$
= 560 Mrd. US-$. 45.000 nicht-tödliche
Krebsschäden a 0,4 Mio. US-$ = 18 Mrd.
US-$.). Hinzu addiert werden weitere,
von einem Report des US-amerikanischen Energie-Ministeriums
prognostizierte
Gesundheitsschäden:
- 700 schwere
geistige Behinderungen bei Neugeborenen;
- 1.900 genetische Schäden bei Neugeborenen.
Daraus ergeben
sich zusätzlich 280 Mio. US-$ infolge geistiger
Behinderungen
und 760 Mio. US-$ infolge genetischer Schäden
(Die Behinderungen werden wie
nicht-tödliche Krebsfälle bewertet).
Insgesamt kommt Ottinger somit auf
Gesundheitsschäden in Höhe von 579
Mrd. US-$.
Zusätzlich
zu den Gesundheitsschäden bewertet Ottinger
Vermögensverluste
aufgrund von Reaktorunfällen, wobei ausschließlich
landwirtschaftliche Pro-
duktionsausfälle betrachtet werden. Die
Studie beziffert die landwirtschaftlichen
Schäden aufgrund des Tschernobyl-Unfalls
mit einer jährlichen Summe von 2,2
Mrd. US-$ und einem Gesamtwert von 34 bis 73
Mrd. US-$ (bei Diskontraten
zwischen 3 und 6,5 Prozent). Dieser Bewertung
liegt die Annahme von
Agrarexperten zugrunde, daß die Sowjetunion
aufgrund des Reaktorunfalls
jährlich zehn Prozent ihrer Getreideernte
verliert.
3.1.3. Die Biblis-Studie
(a) Die Biblis-Szenarien
Die Schadensbewertung
der Biblis-Studie von Ewers/Rennings stützt
sich auf
Berechnungen der radioaktiven Belastung infolge
eines Kernschmelzunfalls, die
vom Öko-lnstitut Darmstadt durchgeführt
wurden (Ewers/Rennings, 1991;
Küppers, 1990). Die Berechnungen basieren
auf meteorologischen
Ausbreitungsszenarien sowie auf den Ergebnissen
der DRS Phase B (GRS,
1989). Das Kernkraftwerk Biblis B mit einem
typischen Druckwasserreaktor
deutscher Bauart dient in der DRS Phase B als
Referenzanlage.
Die Berechnungen
gehen davon aus, daß die insgesamt freigesetzte
Radio-
aktivität auf folgende Weise aus dem Reaktor
austritt:
- Eine Hälfte
wird bodennah freigesetzt.
- Die andere Hälfte wird in einer Höhe
von 500 Metern über Grund
freigesetzt.
Das Szenario kommt
zu dem Ergebnis, daß die austretende Radioaktivität
bei
den durchschnittlichen Windverhältnissen
im Oberrheingraben zum Teil
Richtung Nordosten und zum Teil Richtung Südosten
zieht. Regenfälle sorgen
dafür , daß in beiden Richtungen
eine jeweils etwa 500 km lange Zone radioaktiv
verseucht wird. Das kontaminierte Gebiet reicht
im Nordosten bis Liberec
(CSFR), im Südosten bis Wien (Österreich).
Aufgrund der radioaktiven
Belastung ist nach den Rahmenempfehlungen für
den
Katastrophenschutz ein Gebiet zu evakuieren,
in dem etwa 4,3 Mio. Menschen
leben. In dem Gebiet, das zum großen Teil
dem Regierungsbezirk Darmstadt
entspricht, müßten andernfalls bald
akute Gesundheitsschäden befürchtet
werden.
Um langfristige
Gesundheitsschäden zu mindern, wären
sogar erheblich größere
Gebiete zu räumen. Nach den in der UdSSR
beim Tschernobyl-Unfall
angewandten Kriterien müßten zur
Minderung gesundheitlicher Spätfolgen
allein in der ERD mehr als zehn 1\1io. 1\1enschen
aus radioaktiv belasteten
Gebieten bis hinter Gera im Nordosten und bis
nach Niederbayern im Südosten
umgesiedelt werden.
Für die Bewertung
der volkswirtschaftlichen Schäden formuliert
die
Ewers/Rennings-Studie zwei Szenarien, von denen
hier nur das Szenario A
relevant ist. Es geht von folgenden Annahmen
und Schadenskategorien aus:
- Das Sperrgebiet,
das nach den Rahmenempfehlungen für den
Kata-
strophenschutz zu evakuieren ist, weil dort
die Bevölkerung akut durch
Frühschäden bedroht ist, bleibt
mindestens fünf Jahre für jegliche
Nutzung
gesperrt. Bewertet werden die Schäden,
die dadurch entstehen, daß
während dieser Zeit sämtlicher Wohnraum
sowie alle Arbeits- und
Firmeneinkommen in der Sperrzone verloren
gehen.
- Es wird unterstellt, daß Produktionsverluste
in anderen Regionen, die
durch wirtschaftliche Verflechtungen mit der
Sperrzone verbunden sind,
und Produktionsgewinne in anderen Regionen,
die durch Zuwanderungen
aus dem Sperrgebiet entstehen, sich annähernd
ausgleichen.
- Für die umzusiedelnden Gebiete über
das Sperrgebiet hinaus wird un-
terstellt, daß sich bei einer Ausweitung
des Sperrgebietes die Sachschäden
entsprechend der Anzahl der zusätzlich
betroffenen Bevölkerung
vervielfachen.
- Über die radioaktiv verseuchten Gebiete
hinaus wird ein völliger Einbruch
der Märkte für frische Feldfrüchte
angenommen, wie dies in der BRD
schon nach Tschernobyl der Fall war. Die Bewertung
der Schäden durch
den Verlust von Agrarprodukten orientiert
sich daher an den Erfahrungen
aus der Tschernobyl-Katastrophe.
- Auch die Bewertung der globalen Gesundheitsschäden
aufgrund eines
Reaktorunfalls geht über die umzusiedelnden
Gebiete hinaus, da auch
gesundheitliche Spätfolgen aufgrund niedriger
Strahlendosen einzube-
ziehen sind, die sich nicht auf die evakuierten
und umgesiedelten Regionen
beschränken.
Die Biblis-Studie
greift somit zum Teil auch die Vorschläge
von Voß auf.
Verzichtet wird auf die Berechnung der Kosten,
die durch Evakuierung und
Dekontamination entstehen, da es für diese
Maßnahmen in einer Dimension, wie
sie nach den Biblis-Szenarien notwendig wären,
kein Vorbild gibt. Zudem ist
nicht davon auszugehen, (laß diese Kostenarten
das Gesamtergebnis wesentlich
beeinflussen würden. Auch die atomrechtliche
Deckungsvorsorge in Höhe von
0,5 Mrd. DM wird als vernachlässigbar angesehen.
Nicht monetarisiert wurden
zudem Schäden an Flora lind Fauna.
(b) Die Bewertung der Unfallschäden
Auf der Grundlage
dieser Szenario-Annahmen nehmen Ewers/Rennings
eine
Bewertung der Sach- und Gesundheitsschäden
vor. Diese unterschätzen aus
zweierlei Gründen tendenziell die Unfallschäden:
- Die tatsächlichen
Gesundheitsschäden dürften höher
liegen, weil analog
dem Verfahren von Hohmeyer nur Produktionsausfälle
bewertet werden.
- Die tatsächlichen Sachschäden dürften
ebenfalls höher liegen. Es wird
angenommen, daß nach Ablauf der fünfjährigen
Sperrfrist in der eva-
kuierten Zone keine weiteren Verluste auftreten.
In der Realität ist kaum
anzunehmen, daß eine Immobilie in einer
radioaktiv verseuchten Zone von
einem Tag auf den anderen wieder zu einem Preis
bewertet wird, den sie
ohne den Reaktorunfall erzielt hätte.
Gesundheitsschäden
Die Bewertung
der globalen Gesundheitsschäden greift
auf den Ansatz von
Hohmeyer zurück. Er erscheint für
die Biblis-Szenarien adäquat, da er mit
plausiblen Annahmen die zu erwartenden Schäden
durch Strahlenkrebs ab-
schätzt. Lediglich die radioaktive Freisetzung
wird nicht mit dem fünffachen,
sondern mit dem doppelten Wert des Tschernobyl-Unfalls
angesetzt. Dieser
Wert ergibt sich, wenn man die Freisetzungsraten
der biologisch gefährlichsten
radioaktiven Substanzen der Tschernobyl-Katastrophe
mit den Raten vergleicht,
die bei einem Super-GAU nach dem Muster der
Biblis-Szenarien zu erwarten
wären (Küppers, 1991).
Auf der Grundlage
dieser Werte ergeben sich Gesundheitsschäden
von 3,6
Billionen DM (480 Mio. Pers.-rem x 1.000 Krebsfälle/Mio.
Pers.-rem x 10 x
750.000 DM/Krebsfall = 3,6 Billionen DM).
Sachschäden
Die Produktions-
und Vermögensverluste werden für die
verschiedenen Gebiete
getrennt berechnet:
- Sperrzone;
- Umzusiedelnde Gebiete;
- Globale Schäden (über Sperrzone
und umzusiedelnde Gebiete hinaus).
Für die Sperrzone
werden für den Zeitraum von 5 Jahren Produktionsverluste
von mindestens 420 Mrd. DM berechnet. Die Berechnungen
stützen sich auf das
-Nettoinlandsprodukt des Sperrgebietes nach
der Statistik des Landes Hessen für
das Jahr 1987.
Die Schäden
in den eventuell von einer Umsiedlung betroffenen
Gebieten, in
denen in den Jahren 1987 und 1988 weitere 7,2
Mio. Einwohner lebten, werden
anhand der Bevölkerungszahl hochgerechnet.
Es ergibt sich ein Gesamtschaden,
der um den Faktor 2,6 höher liegt als bei
ausschließlicher Betrachtung des
Sperrgebiets. Der gesamte Sachschaden würde
auf rund 1,1 Billionen DM
erhöht, wovon rund 670 Mrd. DM auf das
Umsiedlungsgebiet außerhalb der
Sperrzone entfallen.
Über die
umzusiedelnden Gebiete hinaus werden noch Verluste
an Agrar-
produktion berücksichtigt. Die Studie übernimmt
die Schätzung von Ottinger,
der als Folge des Tschernobyl-Unfalls landwirtschaftliche
Produktionsverluste in
Höhe von 34 -73 Mio. US-$ berechnet. Es
wird angenommen, daß ein Super-
GAU in der BRD mindestens zu landwirtschaftlichen
Schäden in der gleichen
Größenordnung führen wird. In
DM umgerechnet, würde auf der Grundlage
der
von Ottinger ermittelten Werte bei. einem Dollarkurs
von 1,5 DM der
landwirtschaftliche Schaden bei einem Biblis-Unfall
zwischen 51 und 109 Mrd.
DM liegen. Es kann also bei vorsichtiger Schätzung
ein Mindestwert von
Schäden in Höhe von 50 Mrd. DM angenommen
werden.
Die gesamten Sachschäden
betragen 470 Mrd. DM, wovon 420 Mrd. DM auf
Produktionsverluste im Sperrgebiet selbst und
50 Mrd. DM auf globale
landwirtschaftliche Verluste entfallen. Würde
zusätzlich zu der engeren
Sperrzone Bevölkerung umgesiedelt, könnte
der Sachschaden auf bis zu 1,14
Billionen DM ansteigen.
Gesamtschäden
Die Gesamtschäden
eines Reaktorunfalls in Biblis belaufen sich
demnach auf
4,07 Billionen DM für den Fall, in dem
nur das Sperrgebiet evakuiert wird, und
4,74 Billionen DM für den Fall, in dem
die Bevölkerung weiträumiger
umgesiedelt wird. Da nicht sicher ist, welche
Regionen im Ernstfall tatsächlich
umgesiedelt würden, kann von Unfallschäden
in Höhe von 4,07 Billionen DM als
Untergrenze eines Kernschmelzunfalls ausgegangen
werden.
Tabelle 2: Gesamtschäden eines Super-GAU's
in Biblis (in DM)
Gesundheitsschäden
(a): |
3.600 Mrd. |
Sachschäden: |
|
-- Sperrgebiet
allein (b ): |
420 Mrd. |
-- Sperrgebiet
und Umsiedlungsgebiet (c): |
1.090 Mrd. |
-- zusätzliche
globale Sachschäden ( d): |
50 Mrd. |
Gesamtschaden,
wenn nur Sperrgebiet
evakuiert wird (a+b+d): |
4.070 Mrd. |
Gesamtschaden,
wenn Bevölkerung
weiträumiger umgesiedelt wird (a+b+c+d): |
4.740 Mrd. |
3.1.5. Die
Krümmel-Studie
In einem Gutachten
für das Land Schleswig-Holstein analysierte
das Öko-Institut
Darmstadt die Folgen eines Reaktorunfalls im
Kernkraftwerk Krümmel
(Küppers et. al., 1990). Die Studie legt
einen Quellterm in der Größenordnung
zugrunde, die in der DRS Phase B für den
Quellterm SBV angegeben wird. Die
Unfallfolgen werden in Abhängigkeit von
meteorologischen Szenarien berech-
net. Während die Windrichtung vorgegeben
ist (und nach Angaben der Autoren
des Gutachtens bezüglich der zu erwartenden
Gesundheitsschäden nicht den un-
günstigsten Fall darstellt), unterscheiden
sich die Szenarien nach der Nieder-
schlagssituation. Ein Szenario berechnet die
Unfallfolgen "mit Regen", ein an-
deres die Folgen "ohne Regen".
Bei der Berechnung
der Unfallfolgen, die für jede Gemeinde
und Stadt im Un-
tersuchungsgebiet einzeln quantifiziert werden,
bezieht das Gutachten soge-
nannte Overkill-Effekte ein. Ein Overkill liegt
vor, wenn in einem radioaktiv be-
sonders belasteten Gebiet die nach dem Personen-rem-Konzept
ermittelte An-
zahl von Todesopfern größer ist als
die Einwohnerzahl des Gebietes. In solch ei-
nem Falle muß die berechnete Anzahl von
Todesopfern nach unten auf die Ein-
wohnerzahl korrigiert werden.
Nach der Krümmel-Studie
wären im Umkreis von 50 km um das Kernkraftwerk
215.000 bis 514.000 Menschen zu evakuieren.
Flächen außerhalb des 5o-km-Ge-
biets, die nach den Eingreifwerten der "Rahmenempfehlungen
für den Katastro-
phenschutz" ebenfalls evakuiert werden
müßten, werden in der Studie nicht
un-
tersucht. Wendet man den Risikokoeffizienten
der Internationalen Strahlen-
schutzkommission (ICRP) von 500 Todesfällen/Mio.
Personen-rem an, dann
summieren sich die somatischen Spätschäden
(nur Todesfälle) innerhalb des Un-
tersuchungsgebietes auf 112.314 Todesfälle
im Szenario mit Regen und auf
14.068 Fälle im Szenario ohne Regen. Tm
Szenario mit Regen läßt sich die
Zahl
der Unfallopfer durch eine frühzeitige
Evakuierung (nach 12 bis 24 Stunden) um
62,8 bis 74,1 Prozent verringern, im Szenario
ohne Regen um 4,3 bis 11,8 Pro-
zent.
Beim Vergleich
mit der Biblis-Studie fällt auf, daß
die Krümmel-Studie
- sich auf ein
Untersuchungsgebiet mit einem Radius von 50
km beschränkt;
- Overkill-Effekte einbezieht;
- die Szenarien nach der Niederschlagssituation
unterscheidet;
- Effekte einer zügigen Evakuierung berechnet.
Durch die Beschränkung
auf einen 50-km-Radius fällt zunächst
die absolute An-
zahl an somatischen Spätschäden um
eine Größenordnung geringer aus als
in der
Biblis-Studie. Der Unterschied von einer Größenordnung
erscheint durchaus
plausibel, da nach den der Biblis-Studie zugrundeliegenden
Berechnungen bei
einem Super-GAU ein Radius von 500 km radioaktiv
verseucht würde. Es zeigt
sich, daß ein 50-km-Radius nur einen kleinen
Ausschnitt der Gesamtschäden er-
faßt. Auch über die 50-km-Zone hinaus
müßten Regionen evakuiert und umge-
siedelt werden, in weiteren Gebieten wäre
eine erhöhte radioaktive Belastung zu
verzeichnen.
Der Overkill-Effekt
beträgt im Szenario mit Regen 8,9 Prozent,
im Szenario
ohne Regen 1 Prozent. Overkill-Effekte treten
lokal sehr begrenzt auf und sind
wegen der Diffusion der freigesetzten Substanzen
außerhalb des untersuchten
50-km-Radius nicht zu erwarten. Da der 50-km-Radius
nur einen Bruchteil der
insgesamt radioaktiv verseuchten Region umfaßt,
dürfte der Overkill-Effekt bei
einer globalen Betrachtung der Gesundheitsschäden
unter einem Prozent der
Gesamtschäden liegen und deshalb vernachlässigbar
sein.
Auffällig
ist auch, daß die Anzahl somatischer Spätschäden
im Szenario ohne
Regen um eine Größenordnung unter
der Anzahl im Szenario mit Regen liegt.
Auch dieser Unterschied ist mit der Beschränkung
des Untersuchungsgebietes zu
erklären. Bei globaler Betrachtung vermindert
trockenes Wetter die Schäden
nicht, da die radioaktiven Substanzen dann zwar
nicht direkt am Unfallort, dafür
aber später in einer anderen Region ausregnen
würden. Vermindert würden die
Unfallfolgen nur in Fällen, in denen die
radioaktive Wolke etwa über einem
Meer, Waldgebieten oder dünner besiedelten
Regionen ausregnet.
Die Verminderung
der Unfallfolgen durch eine frühzeitige
Evakuierung ist be-
achtlich, doch dürften sich solche Effekte
ebenfalls auf die engere Umgebung des
Kernreaktors beschränken. Der Katastrophenschutz
siebt in der Regel nur die
Evakuierung eines Umkreises von 2 bis 10 Kilometern
um das Kernkraftwerk vor
(Schmidt, 1991). Bei den beschriebenen Unfallszenarien
in Biblis oder Krümmel,
die eine sehr weiträumige Evakuierung erfordern,
ist der Katastrophenschutz
bislang überfordert.
3.1.6. Die Ferguson-Studie
In Großbritannien
haben sich Wissenschaftler, die im Rahmen verschiedener
Studien an einer Monetarisierung der externen
Effekte der Energieerzeugung
arbeiten, zu einem Zentrum für techno-ökonomische
Energie- und Umweltstu-
dien (CEETES) zusammengeschlossen. Während
sich einige der Studien zur
Zeit der Fertigstellung dieses Gutachtens noch
im Entwurfsstadium befanden,
lag eine methodologische Studie von Baumann/HilI
zur Identifizierung und
Quantifizierung der sozialen und Umweltkosten
der Elektrizitätserzeugung be-
reits vor (Baumann/HilI, 1991). Ziel der Studie
ist es, diejenigen Bereiche der
Energieerzeugung zu identifizieren, die signifikante
oder erhebliche Umweltef-
fekte aufweisen und deshalb weiterer, quantitativer
Untersuchung zur Bewertung
dieser Effekte bedürfen.
Die Kernenergie
wird im Bereich Katastrophenrisiken als signifikant
bis erheb-
lich eingestuft. Baumann/Hill berufen sich dabei
auf eine zur Zeit der Fertig-
stellung dieses Gutachtens noch in Arbeit befindliche
Schätzung von Ferguson
(Ferguson, 1991), nach der die Umweltkosten
schwerer Kernschmelzunfälle bis
zu 5 pence/kWh betragen.
Die Eintrittswahrschein1ichkeit
eines Kernschmelzunfalls mit mehr als 10.000
somatischen Spätschäden beziffert
Ferguson mit 1 : 100.000.000, womit er um ei-
nige Zehnerpotenzen unter den Schätzungen
von Hohmeyer und Ottinger liegt.
Bei der Bewertung geht Ferguson als erste Annäherung
von einer geschätzten
(noch nicht empirisch getesteten) Risikobereitschaft
der Bevölkerung aus, bei
der
- unfreiwillige
Risiken doppelt so hoch gewichtet werden wie
freiwillige;
- die Zahlungsbereitschaft zur Abwehr von
Risiken mit zunehmendem Scha-
densausmaß quadratisch ansteigt;
- die Zahlungsbereitschaft zur Abwehr von
Risiken bei einer Bedrohung des
globalen ökologischen Gleichgewichtes
exponentiell ansteigt.
Interessant ist
an der Untersuchung von Ferguson, daß
ein erster Versuch unter-
nommen wird, den Einfluß von Unfreiwilligkeit
auf die Zahlungsbereitschaft zur
Abwehr von Risiken zu quantifizieren, und das
"psychologische Risiko" über
die
quadratische Funktion zu schätzen. Um die
Ergebnisse beurteilen zu können,
muß jedoch die empirische Überprüfung
durch eine geplante Contingent Valua-
tion-Untersuchung abgewartet werden.
3.2. Bewertung der monetären Schäden
eines sogenannten Super-GAU's
Die folgende monetäre
Bewertung der Schäden eines Kernschmelzunfalls
in der
BRD fußt auf den Ergebnissen der Biblis-Studie.
Zwei Fragen sind bei der Über-
tragung dieser Ergebnisse zu diskutieren
1. Ist das Biblis-Szenario
repräsentativ, oder sind die Ergebnisse
nur einge-
schränkt auf andere Kernkraftwerke in
der BRD übertragbar?
2. Müssen aufgrund der Ergebnisse der
neueren Studien methodische Korrek-
turen vorgenommen werden?
3.2.1. Die Repräsentativität des
Biblis-Szenarios
Zu fragen ist,
ob die in den Biblis-Szenarien getroffenen Annahmen
hinsichtlich
des Quellterms und der Unfallfolgen auf andere
Kernkraftwerke in der BRD
übertragbar sind. Wie in Abb. 2 zu sehen,
waren in der BRD im Jahre 1989 21
Kernreaktoren in Betrieb. Einer davon (Mülheim-Kärlich)
lag still (Schürmann,
1991).
Theoretisch wäre
es erforderlich, die Quellterme und Unfallwahrscheinlichkei-
ten jedes Reaktors anhand anlagenspezifischer
Risikostudien zu ermitteln. Die
DRS Phase B beschränkt sich dagegen auf
die Referenzanlage Biblis B. Als
Grund wird unter anderem angegeben, daß
die Anlage "von den Kernkraftwer-
ken mit langjährigen Betriebserfahrungen
am ehesten repräsentativ für die neue-
ren Druckwasserreaktoren" sei (GRS, 1989).
Für ältere
bundesdeutsche Druckwasserreaktoren wie in Obrigheim
und Stade
ist die Referenzanlage Biblis B dagegen kaum
repräsentativ, weil die sicherheits-
technische Auslegung der älteren Reaktoren
schlechter und ihre Unfallwahr-
scheinlichkeit somit höher sein dürfte.
Auch für bundesdeutsche Siedewasserre-
aktoren gibt es keine spezifischen Risikostudien.
Quellterm, Wahrscheinlichkeit
(1 : 30.000 pro Jahr und Reaktor) und Verlauf
eines möglichen Kernschmelzun-
falls in der Anlage Biblis B werden im folgenden
dennoch als repräsentativ für
die Reaktoren in der BRD zugrundegelegt, weil
es andere Zahlen für das Inland
nicht gibt. In Kauf genommen wird dabei, die
Wahrscheinlichkeit eines Kern-
schmelzunfalls in einem bundesdeutschen Reaktor
mit 1 : 33.300 zu unterschätzen.
Zum Vergleich: Die NRC-Werte von 1 : 3.333 für
die Reaktoren in den
USA liegen immerhin um eine Zehnerpotenz über
dem Wert der DRS Phase B.
Neben Unfallwahrscheinlichkeit
und Quellterm ist zu prüfen, ob die Biblis-
Szenarien hinsichtlich der Unfallfolgen repräsentativ
für die Bundesrepublik
sind. Da die Unfallfolgen unter anderem von
der Bevölkerungsdichte im Um-
kreis des Kernreaktors abhängen, ist zu
prüfen, ob der Standort Biblis in dieser
Hinsicht typisch für die ERD ist.
Abbildung 2: Kerntechnische Anlagen in
der BRD im Jahre 1989
(alte Bundesländer)
Quelle: Vereinigung
Industrielle Kraftwirtschaft (VIK), Statistik
der Energiewirtschaft
1989/1990
Die folgende Übersicht
(Tabelle 3) zeigt die Anzahl der Einwohner in
einem
ungefähren Radius von 50 Kilometern um
die deutschen Kernreaktoren im Jahre
1989 (alte Bundesländer). Der 50-km-Radius
wird hier gewählt, weil Hohmeyer
in seiner Studie unterstellt, daß die
Bevölkerungsdichte innerhalb dieser Radien
in der BRD im Vergleich zu dem ihrer Gesamtfläche
überdurchschnittlich hoch
sei. Aufgrund dieser Annahme setzte er einen
Faktor an, welche die zusätzlichen
Schäden aus dieser vermeintlich höheren
Bevölkerungsdichte berücksichtigen
sollte.
Die Angaben sind
den Volkszählungsdaten von 1987 entnommen
und geben die
Einwohnerzahl der umliegenden Stadt- und Landkreise
an, so daß sie nicht exakt
dem 50-km-Radius entsprechen.
Tabelle 3: Anzahl der Einwohner in der
Umgebung von Kernreaktoren in der BRD
1,0
bis 1,5 Mio. : |
Brunsbüttel,
Grundremmingen (2), Ohu (2) |
1,5
bis 2,0 Mio. : |
Unterweser,
Emsland, Würgassen, Grafenrheinfeld |
2,0
bis 2,5 Mio. : |
Mülheim-Kärlich |
2,5
bis 3,0 Mio. : |
Brokdorf,
Stade, Krümmel |
3,0
bis 3,5 Mio. : |
Biblis
(2), Phillipsburg (2), Obrigheim, Neckarwestheim
(2) |
Quellen: Statistisches
Bundesamt (1990), Statistisches Jahrbuch 1989/1990
für
die BRD; Berechnungen Prognos.
Die folgende Übersicht (Tabelle 4) ordnet
die Kernreaktoren nach der Bevölke-
rungsdichte der näheren Umgebung bis 50
Kilometer.
Ein Vergleich
der Bevölkerungsdichte mit dem der alten
Bundesländer im Jahre
1989 von 252 Einwohner/qkm zeigt, daß
diese Bevölkerungsdichte in etwa dem
Durchschnitt entspricht, der sich für die
Umgebungen der Kernreaktoren ergibt.
Die Bevölkerungsdichte von 468 Einwohner/qkm
um die Blöcke in Biblis et-
scheint als Extremwert.
Tabelle 4: Bevölkerungsdichte um
Kernreaktoren in der BRD
(in Einwohner/qkm)
100 bis 150
: |
Brunsbüttel,
Emsland, Grafenrheinfeld, Ohu (2) |
150 bis 200
: |
Unterweser,
Würgassen, Gundremmingen (2) |
200 bis 250
: |
Stade, Mülheim-Kärlich |
250 bis 300
: |
Brokdorf,
Grohnde |
300 bis 350
: |
- |
350 bis 400
: |
Krümmel,
Neckarwestheim (2) |
400 bis 450
: |
Phillipsburg
(2), Obrigheim |
450 bis 500
: |
Biblis (2) |
Quelle: Statistisches
Bundesamt (1990): Statistisches Jahrbuch 1989/90
für die
BRD; Berechnungen Prognos
3.2.2. Methodische Modifikationen
Aufgrund der Analyse
der Methoden zur Bewertung von Gesundheitsrisiken
(Siehe Kapitel 2) erscheint es geboten, für
die Bewertung von Mortalitätsrisiken
auf die Hedonistische Preisanalyse (HP A) zurückzugreifen,
während für Morbi-
ditätsrisiken mangels empirischer Studien
zur Ermittlung der WTA bzw. WTP
die Humankapitalmethode beibehalten werden muß.
Zur Bewertung tödlicher
Gesundheitsrisiken nach der HPA wird hier der
Wert von Ottinger von 4 Mio.
US-$ pro Todesfall als repräsentativ zugrundegelegt,
so daß in deutscher Wäh-
rung ein Betrag von 6 MIO. DM pro Todesfall
anzusetzen ist. Bei der Obernahme
sind wir uns der in Kapitel 2 genannten Nachteile
der HPA (Unfreiwilligkeit,
Psychologisches Risiko unberücksichtigt)
bewußt, so daß die Verwendung dieser
Methode die reale WTP zur Verhinderung von Reaktorunfällen
sicherlich unter-
schätzt. Für nicht tödlich verlaufende
Unfallschäden wird ein Wert von 0,5 Mio.
DM ( der etwa dem Einkommensausfall von 10 Erwerbsjahren
entspricht) zu-
grundegelegt.
3.2.3. Gesamtschäden durch einen sogenannten
Super-GAU
Nachdem die Repräsentativität
und die Methodik der Biblis-Studie überprüft
wurdet sind daraus nun Konsequenzen für
deren Ergebnisse zu ziehen. Modifika-
tionen ergeben sich sowohl für die Personen.
als auch für die Sachschäden.
Personenschäden
Die Berechnung
der Personenschäden ist in zwei Punkten
zu modifizieren. Von
Hohmeyer wurde ein Aufschlag auf die Gesundheitsschäden
vorgenommen, den
er aufgrund der vermeintlich besonders hohen
Bevölkerungsdichte um die Kern-
reaktoren eingeführt hat. Dieser Aufschlag
ist für die Biblis-Szenarien adäquat
und wurde daher in der Biblis-Studie übernommen.
Für die gesamten Kernreak-
toren in der BRD ist die Bevölkerungsdichte
um Biblis jedoch nicht repräsenta-
tiv. Insofern muß der Aufschlag für
eine besonders hohe Bevölkerungsdichte
um
die Kernreaktoren wieder herausgerechnet werden.
Die von Hohmeyer für den
Ausgangspunkt Tschernobyl berechnete Anzahl
der Krebsschäden ist daher nicht
mit dem Faktor zehn, sondern mit dem Faktor
sieben zu multiplizieren. Der Fak-
tor sieben erscheint adäquat,
- weil in der
ERD die Bevölkerungsdichte in einem 50-km-Radius
um die
Kernkraftwerke herum dem Durchschnitt der
BRD (alte Bundesländer)
von rund 252 Einwohner/qkm entspricht.
- weil die Bevölkerungsdichte in den
von der Tschernobyl-Katastrophe be-
sonders betroffenen Gebieten in Belorußland
zwischen 30 und 40 Einwob-
ner/qkm liegt (WHGK, 1990). Die Bevölkerungsdichte
im europäischen
Teil der Sowjetunion liegt zwar nur bei 26
Einwohner/qkm, dichter besie-
delt ist jedoch die Republik Belorußland,
in der rund 70 Prozent des
Tscbernobyl-Fallouts niedergingen. In den
am schwersten betroffenen Re.
gionen Gomel und Mogilev leben 40 Einwohner/qkm
(Gomel) bzw. 29
Einwohner/qkm (Mogilev).
Als zweite Modifikation
zur Biblis-Studie soll im \\'eiteren der Risikokoeffizient
der Internationalen Strahlenschutzkommission
(ICRP) verwendet werden. Die
ICRP geht von davon aus, daß pro Million
Personen-rem Immission 500 tödliche
Strahlenkrebsschäden, 100 nicht-tödliche
Krebsfälle und 130 schwere Erbschäden
zu erwarten sind (ICRP, 1990; Schmidt, 1991).
Die Erbschäden werden als
Morbiditätsrisiken mit dem gleichen "Kostensatz"
wie nicht-tödliche Krebsfälle
bewertet.
Somit ergeben
sich bei Anwendung eines "Kostensatzes"
für einen Todesfalles in
Höhe von 6 Mio. DM und eines nicht-tödlichen
Krebsfalles bzw. schweren Erb-
schadens in Höhe von 0,5 Mio. DM monetäre
Gesundheitsrisiken in Höhe von
10.466,4 Mrd. DM (siehe Tab. 5). Der monetäre
Wert der Mortalitätsrisiken be-
trägt 10.080,00 Mrd. DM (480 Mio. Pers.-rem
x 7 x 500 Todesfälle/Mio. Pers.-
rem x 6 Mio. DM = 10,08 Billionen), der monetäre
Wert der Morbiditätsrisiken
386,4 Mio. DM (480 Mio. Pers.-rem x 7 x 230
Todesfälle/Mio. Pers.-rem x 0,5
Mio DM = 386,4 Mrd. DM).
Sachschäden
Bei den Sachschäden
ist ebenfalls davon auszugehen, daß die
Biblis-Ergebnisse
wegen der vergleichsweise hohen Bevölkerungsdichte
um das Kernkraftwerk
einen Spitzenwert darstellen. Wie hoch die Schäden
an anderen Standorten ge-
nau ausfallen würden, müßte
theoretisch durch eigene Szenarien ermittelt
wer-
den und ist von angenommenen Wind- und Niederschlagssituationen
abhängig.
Nimmt man einen Abschlag vom Biblis-Ergebnis
anhand der Bevölkerungsdichte
vor, so ist davon auszugehen, daß im Durchschnitt
der Sachschaden 55 Prozent
des Biblis- Wertes ergeben würde. Im Durchschnitt
der BRD müßte dann bei ei-
nem Super-GAU ein Sachschaden in Höhe von
231 Mrd. DM gegenüber 420
Mrd. bei einem Biblis-Unfall zu erwarten sein.
Gesamtschäden
Die geschätzten
Gesamtschäden aus einem Kernschmelzunfall
in der BRD las-
sen sich aus der folgenden Tabelle 5 ablesen.
Tabelle 5: Gesamtschäden eines Super-GAU's
in der BRD
(in Mrd. DM)
Personenschäden: |
|
Mortalität:
|
10.080 |
Morbidität:
|
386 |
Gesamt: |
10.466 |
|
|
Sachschäden: |
231 |
|
|
Summe (Personen
und Sachschäden): |
10.697 |
4. Der Umgang
mit Super-GAU-Risiken: Internalisierung oder
ökologischer Rahmen?
Ein Reaktorunfall
ist ein stochastisches Risiko, für das
sich keine Schadensfunk-
tion etwa in der Dimension Pf/Emissionseinheit
ableiten läßt. Es lassen sich le-
diglich die absoluten Schäden eines Unfalls
schätzen, mit der Wahrscheinlichkeit
seines Eintretens gewichten und in Bezug zur
Energieproduktion der Kernkraft-
werke setzen. Der ermittelte Wert besitzt die
Dimension Pf/J oder alternativ
Pf/kWh.
Es gibt zwei Wege
zum Umgang mit Super-GAU-Schäden, die im
folgenden dar-
gestellt werden sollen. Die erste Möglichkeit
besteht darin, die Unfallschäden zu
internalisieren, indem der ermittelte monetäre
Wert der Schäden auf den
Strompreis aus der Kernenergie aufgeschlagen
wird. Die zweite Möglichkeit be-
steht darin, tolerierbare Risiko-Limits vorzugeben,
die den Energieproduzenten
als Restriktion auferlegt werden. Diese Strategie
strebt einen "ökologischen
Rahmen" für die Marktwirtschaft an,
innerhalb dessen der Preismechanismus
weiterhin für die optimale Allokation von
Ressourcen sorgt
(Hansmeyer/Schneider 1990, Kemper 1989).
4.1. Die Internalisierung der Kosten eines
Super-GAU's
Die Internalisierung
von Umweltschäden setzt deren Monetarisierung
voraus.
Für einen Kernschmelzunfall in der BRD
wurden hier Schäden in Höhe von
10,6976 Billionen DM berechnet. Die Wahrscheinlichkeit
für einen Super-GAU
beträgt laut DRS Phase B 1 : 33.333 Jahre
(ohne Maßnahmen des Accident-
Managements). Bezogen auf die BRD und das Jahr
1989, in dem 20 Reaktoren
in Betrieb waren, muß demnach alle 1.666
Jahre mit einem Kernschmelzunfall
gerechnet werden. Bei einem absoluten Schaden
von 10,697 Billionen DM
ergeben sich jährliche Schadenskosten von
6,42 Mrd. DM. Die 20 Kernreaktoren
in der BRD erbrachten 1989 eine Arbeit von 537,8
P J (bzw. 149,4 TWh) (Brecht
et. al., 1990). Bezogen auf eine Energieeinheit
fa]]en monetäre externe Kosten in
Höhe von 1,2 Pf/kJ (bzw. 4,3 Pf/kWh).
Das Ergebnis liegt
im Bereich der Schätzungen von Ottinger
(2,3 cents/kWh), im
Schätzungsbereich der Ergebnisse der Hohmeyer-Studie
(1,2 bis 12 Pf/kWh), um
das dreifache unter den Werten von Ferguson
(5 pence/kWh) und um rund das
sechzigfache über dem oberen Bereich von
Voß (0,008 bis 0,07 Pf/kWh).
4.2. Risiko-Limits: Der ökologische
Rahmen
Da ein optimales
Ausmaß an Umweltrisiken häufig nicht
theoretisch bestimmt
werden kann, wird von, Umweltökonomen zunehmend
gefordert, Umweltquali-
tätsziele zu fixieren, die von Produzenten
und Konsumenten im Wirtschaftspro-
zeß eingehalten werden müssen. Wie
Kemper schreibt: "Ökologisches Ziel
sollte
dabei die Einhaltung ökologischer Rahmenwerte
in Form von Imissions- und
daraus abgeleiteten Emissionsbegrenzungen sein,
die das ökologische Gleichge-
wicht gewährleisten. Diese sollten politisch
in einem ökologischen Rahmen ...
festgeschrieben werden" (Kemper, 1989).
Während der Staat ökologische Stan-
dards setzt, soll der Marktmechanismus innerhalb
dieses Rahmens für eine mög-
lichst effiziente Allokation sorgen. Für
eine Wirtschaftsordnung, die sich dieser
Strategie verpflichtet, hat Wicke den Begriff
"Öko-soziale Marktwirtschaft"
ge-
prägt (Wicke, 1991).
Standards für
den Umgang mit möglichen Kernschmelzunfällen
sind auf mehre-
ren Ebenen denkbar:
- quantitiative
Risiko-Limits;
- qualitative Standards;
- Standardisierte Verfahren der Risikobewertung.
4.2.1. Quantitative Risiko-Limits
Risiko-Grenzwerte
für Kernkraftwerke sind bislang in der
ERD nicht vorhanden.
Es besteht keine Einigkeit über kritische
Werte, die bestimmen, welches Risiko
gerade noch akzeptabel und \\'elches gerade
nicht mehr akzeptabel sein kann.
Allgemeiner Konsens bei der Festlegung eines
ökologischen Rahmens besteht
lediglich in dem Punkt, wie Hansmeyer /Schneider
es ausdrücken, "daß das Öko-
logische Existenzminimum unter absolutem Schutz
steht" (Hansmeyer /Schnei-
der, 1990). Das ökologische Existenzminimum
kann -um die Definition der Öko-
sozialen Marktwirtschaft von Wicke zu zitieren-
auch so beschrieben werden,
daß "die Umwelt in ausreichendem
Maße geschützt und für die nachfolgenden
Generationen erhalten und bewahrt wird"
(Wicke, 1991). Insofern ist zu fragen,
wie sich das Postulat des ökologischen
Existenzminimums konkreter definieren
bzw. quantifizieren läßt, und ob
es durch den Einsatz der Kernenergie gefährdet
wird.
Risikolimits bzw.
Sicherheitsstandards müßten zunächst
einmal hinsichtlich ihrer
Dimension festgelegt werden, etwa als:
- maximal zulässige
Eintrittswahrscheinlichkeit;
- maximal zulässige Kollektivdosis bei
einem Unfall (Mio. Pers.-rem);
- maximal zulässige Individualdosis (rem);
- maximal zulässiges Individualrisiko
(komparativ zu anderen Risiken)
- maximal zulässiges Kollektivrisiko
(komparativ zu anderen Risiken)
(a) Safety Goals
Im Ausland gibt
es durchaus schon Erfahrungen mit Risiko-Grenzwerten
im Be-
reich der Kernenergie. 1986 trat in den USA
das Policy Statement der NRC mit
dem Titel "Safety Goals for the Operation
of Nuclear Power Plants" in Kraft. Die
quantitativen Risiko-Grenzwerte lauten (Hahn/Sailer,
1987):
- Das Risiko
eines akuten Todesfalles durch Reaktorunfälle
für ein mittleres
Individuum in der Nachbarschaft eines Kernkraftwerkes
soll ein Zehntel
eines Prozents (0,1 Prozent) der Summe der
Todesrisiken aus Unfällen,
denen die Mitglieder der U.S.-Bevö1kerung
ausgesetzt sind, nicht Überstei-
gen.
- Das Risiko von tödlichen Krebserkrankungen
als Ursache des Kernkraft-
werksbetriebes soll für die Bevölkerung
in der Umgebung der Anlage ein
Zehntel eines Prozents (0,1 Prozent) der Summe
der Krebsrisiken aus allen
Ursachen nicht übersteigen.
Zudem wird eine
-allerdings vorläufige und revidierbare
-Richtlinie formuliert.
Nach ihr soll "die Gesamt-Eintrittshäufigkeit
für eine große Freisetzung von ra-
dioaktivem Material kleiner als 1 : 1.000.000
pro Reaktorjahr sein" (Hahn/Sailer,
1987).
Bei den Safety
Goals in den USA handelt es sich also um Grenzwerte
für das In-
dividualrisiko und für die Eintrittshäufigkeit.
Verbindliche Safety Goals in Form
maximaler Unfallwahrscheinlichkeiten gibt es
auch in Großbritannien, unver-
-bindliche Risiko-Limits exisitieren in Frankreich
und Kanada.
(b) Schadensausmaß
Ein Mangel der
im Ausland bis heute formulierten Risikogrenzwerte
besteht
darin, daß in den Risikokennziffern die
Höhe der Schäden vernachlässigt
wird:
"Die Formulierung der Safety Goals läßt
nämlich prinzipiell beliebig große
Ma-
ximalschäden zu, wenn nur deren Eintrittswahrscheinlichkeit
entsprechend ge-
ring ist" (Hahn/Sailer, 1987).
Eine Weiterentwicklung
von quantitativen Risiko-Limits könnte
demnach darin
bestehen, zusätzlich absolute Limits für
das mögliche Schadensausmaß zu setzen,
da es Schadensausmaße geben kann, die
unabhängig von ihrer Eintrittswahr-
scheinlichkeit so groß sind, daß
sie nicht mehr akzeptabel sind.
(c) Private Versicherbarkeit
Geldeinheiten
sind als Dimension für Risikolimits unbrauchbar.
Monetäre Scha-
densgrößen können aber immerhin
eine Orientierung bei der Festlegung von
Standards geben, indem sie anzeigen, welche
Umweltkosten auch innerhalb des
Limits noch verbleiben und welche Kosten durch
das Limit vermieden werden.
Möglich wäre
auch, ein Limit derart zu formulieren, daß
Risiken in einer Markt-
wirtschaft nur dann zugelassen werden, wenn
sie privat versicherbar sind. Damit
wäre das Verursacherprinzip in der Weise
durchgesetzt, daß die Kosten eines
Unfalls von den Verursachern in Form von Prämien
getragen werden müßten.
Das Postulat einer privaten Versicherbarkeit
würde
- entweder dazu
führen, daß Haftungsgrenzen und
Deckungssummen für
Reaktorunfälle den zu erwartenden Schadenskosten
angepaßt, also ent-
sprechend erhöht werden
- oder es würde dazu führen, daß
die Risiken den versicherbaren Deckungs-
summen angepaßt, also entsprechend gesenkt
werden.
Die BRD gehört
neben Japan und der Schweiz zu den drei Ländern,
in denen
Kernkraftwerksbetreiber für Unfallschäden
ohne Verschulden unbegrenzt haf-
ten. Die Deckungssumme in der ERD liegt mit
0,5 Mrd. DM neben den USA in-
ternational an der Spitze (Pelzer, 1991; Smets,
1987). Im Vergleich zu den mögli-
chen Schäden erscheinen diese Summen jedoch
als vernachlässigbar klein. Eine
Aufstockung der Deckungssumme auf 10 Milliarden
DM, wie sie in der BRD
derzeit diskutiert wird, dürfte bereits
an die Grenze der Versicherbarkeit über
private Versicherungsunternehmen stoßen.
Im Atomhaftungsrecht der USA sind
derzeit Super-GAU-Schäden bis zu 7,8 Mrd.
US-$ finanziell gedeckt: 200 Mio.
US-$ durch eine Haftpflichtversicherung, 7,607
Mrd. US-$ durch ein Rückversi-
cherungssystem, bei dem die Inhaber von Kernkraftwerken
im Schadensfalle
nachträglich bestimmte Summen zahlen müssen
(Pelzer, 1991). Super-GAU-
Schäden in ihrer vollen Höhe von mehreren
Billionen DM, wie sie heute bei ei-
nem Unfall nach dem Muster der Biblis-Szenarien
möglich wären, privat versi-
chern zu wollen, erscheint aussichtslos.
Das Postulat einer
privaten Versicherbarkeit würde also eher
einen Anreiz da-
hingehend geben, die Risiken zu senken bzw.
Anlagen zu errichten, die einen
Super-GAU nach dem Muster der Biblis-Szenarien
völlig ausschließen. Eine sol-
che Anlage könnte der sogenannte inhärent
sichere Reaktor sein. Als inhärent
sicher wird eine Anlage bezeichnet, deren Sicherheit
nicht auf dem Eingreifen
von Personal oder dem Funktionieren elektromagnetischer
Komponenten, son-
dem auf unveränderbaren Prinzipien der
Physik und Chemie beruht
(Hahn/Sailer, 1987).
Folgender Sachverhalt
ist bei der Frage nach der Versicherbarkeit
von Super-
GAU-Risiken zu berücksichtigen: Während
bei der rechnerischen Internalisie-
rung der Schäden eine Unfallwahrscheinlichkeit
von 33.300 Jahren pro Anlage
veranschlagt werden kann, müßte eine
private Versicherung deutlich höhere
Prämien berechnen als die ermittelten externen
Kosten pro KWh, um im Scha-
densfall tatsächlich liquide sein zu können.
Ein Beispiel:
Eine Versicherung will 25 Reaktoren in der BRD
mit einer Jah-
resleistung von 10 Mrd. kWh/Jahr versichern.
Um in einem Zeitraum von 20
Jahren (in dem die Reaktoren 5 Billionen kWh
Energie erzeugen) genügend Ka-
pital angespart zu haben, mit dem sie einen
Super-GAU-Schaden in Höhe von 5
Billionen DM entschädigen kann, müßte
sie eine Versicherungsprämie erheben,
die bei Umlage auf den Strompreis 1 DM/kWh ergeben
würde (Sauer, 1991).
4.2.2. Qualitative Standards
Unsicherheit bei
der Bewertung von Umweltschäden hat dazu
geführt, daß bis-
lang auf quantitative Risiko-Limits weitgehend
verzichtet werden muß. Das Vor-
liegen von Unsicherheit auf der einen Seite
und das Ziel der Sicherung des öko-
logischen Existenzminimums auf der anderen Seite
legen risikoaversives Verhal-
ten nahe. Im Zweifel müßten also
sehr niedrige Grenzwerte gewählt werden.
Hilfreich ist
es bei der Setzung von Risiko-Limits, sich bestimmte
Eigenschaften
von Risiken vor Augen zu führen. Kriterien
könnten sein:
- Irreversibilität
von Risiken;
- Unfreiwilligkeit;
- Auswirkungen auf spätere Generationen.
Liegt eine dieser
drei Eigenschaften vor, so liegt es nahe, Limits
besonders risi-
koaversiv zu setzen oder ein Risiko ganz zu
untersagen.
(a) Irreversibilität
Die Risiken irreversibler
Schäden werden bislang vor allem im Artenschutz
dis-
kutiert. Bishop hat vorgeschlagen, bei Vorliegen
irreversibler Risiken (Risiko des
Auslöschens einer Spezie) statt des statistischen
Erwartungswertes das Maximin-
Kriterium als Entscheidungskriterium zu verwenden
(Bishop, 1978). Dieses Kri-
terium, der sogenannte modifizierte Sufe-Minimum-Standard,
besagt, daß beim
Risiko irreversibler Schäden durch eine
Handlungsalternative im "worst case"
auf
eine Handlungsalternative mit geringeren Risiken
umzusteigen ist, solange d1e
durch eine solche Entscheidung verursachten
sozialen Kosten nicht unvertretbar \
hoch sind.
Auf die Kernenergie
bezogen würde diese Regellauten: Steige,
weil das Risiko
irreversibler Schäden besteht, auf einen
Energieträger mit geringeren Risiken
um. Berechne aber zunächst die zusätzlichen
Kosten, die aus dem Einsatz eines
weniger risikoreichen Energieträgers entstehen,
und entscheide, ob diese zusätz-
lichen Kosten gesellschaftlich akzeptabel sind.
Das Kriterium,
daß die zusätzlichen Kosten gesellschaftlich
akzeptiert werden
müssen, macht wiederum eine Erhebung von
Zahlungsbereitschaften erforder-
lich. Die Schwäche des modifizierten Safe-Minimum-Standards
liegt somit darin,
daß das - sicherlich wichtige -Kriterium
der Irreversibilität sehr weich ist und
letztlich doch wieder mit ökonomischen
Kriterien (Zahlungsbereitschaft) abge-
wogen werden muß. Der modifizierte Safe-Minimum-Standard
liefert also ledig-
lich ein Kriterium für die Risikobewertung,
aber keinen kritischen Wert, der ihm
als Standard Operationalität verleihen
würde.
(b) Unfreiwilligkeit
Das Problem der
Unfreiwilligkeit von GAU-Risiken wurde bereits
im Zusam-
menhang mit der Bewertung von Gesundheitsrisiken
in Kapitel 3, Abschnitt 1
dargestellt. Nach der Vertragstheorie von Rawls
liegt der Schluß nahe, nur frei-
willige Risiken zuzulassen, wenn die körperliche
Unversehrtheit gefährdet ist.
Sind geschützte Güter wie die körperliche
Unversehrtheit bedroht, so sollte für
die Wirtschaftssubjekte die. Möglichkeit
bestehen, dem Risiko auszuweichen
(womit dem Ausweichenden in der Regel auch die
Nutzen aus dem Projekt ent-
gehen). Als wichtiges Kriterium bei der Festlegung
von Risikostandards läßt sich
daher die Einstufung ableiten, ob es sich um
ein unausweichliches Risiko han-
delt, oder ob die Möglichkeit besteht,
sich dem Risiko zu entziehen (Höhe der
Ausweichkosten).
(c) Auswirkungen auf spätere Generationen
Gehört es
zu den Zielen einer Gesellschaftsordnung, die
Umwelt für nachfol-
gende Generationen zu erhalten, so müssen
Risiken, die diesem Ziel im Wege
stehen können, minimiert werden. Gefahren
mit zeitlich besonders weitreichen-
den Konsequenzen, welche die Frage der Gerechtigkeit
zwischen Generationen
berühren, sollte daher ebenfalls sehr risikoaversiv
begegnet werden.
4.2.3. Standardisierte Verfahren der Risikobewertung
Quantitative Limits
bedürfen der Ergänzung und Konkretisierung
durch standar-
disierte Verfahren, welche die Grenzwerte auf
Einzelfälle anwenden. Soweit es
keine quantitativen Risiko-Limits gibt oder
soweit diese breite Interpretations-
und Ermessensspielräume lassen, sollte
durch derartige Verfahren Konsens -
bzw. auf politischer Ebene ein Kompromiß
-hergestellt werden. Solche Verfah-
ren können beispielsweise in Form einer
Umweltverträglichkeitsprüfung mit
Be-
teiligung von Bürgern und Verbänden
oder in Form einer Technikfolgenabschät-
zung standardisiert werden (Ewers 1988, O'Riordan/Wynne
1987).
5. Forschungsbedarf
Die international
gewachsene Anzahl an Studien zur Bewertung von
sozialen
Kosten eines Super-GAU's hat, was die Ergebnisse
anbetrifft, zu einem gewissen
Konsens geführt. Im Hinblick auf die Bewertungsmethodik
und empirische stu-
dien besteht allerdings noch erheblicher Forschungsbedarf.
Eigene empirische
Studien über den Wert von Gesundheitsrisiken
für die BRD erscheinen erford-
lich, da die in den USA und Großbritannien
gemessenen Präferenzen zur Ver-
meidung von Super-GAU-Risiken nicht unbedingt
denen hierzulande entspre-
chen müssen. Interessant dürften vor
allem CV-Untersuchungen sein, deren De-
sign Eigenschaften wie Unfreiwilligkeit von
Risiken und das "psychologische Ri-
siko" berücksichtigt. Zudem besteht
ein umfangreicher Forschungsbedarf auf
dem Gebiet der Bewertung von Morbiditätsrisiken,
damit von der unbefriedi-
genden, bislang angewendeten Humankapitalmethode
Abstand genommen wer-
den kann.
Weiterer Forschungsbedarf
besteht hinsichtlich der Entwicklung von Standards
für die Zulassung von Risiken. Dabei sollte
sowohl eine verbesserte Quantifizie-
rung von Standards für Super-GAU-Risiken
angestrebt werden als auch -soweit
sich eine Quantifizierung als unzureichend,
unmöglich oder nicht konsensfähig
erweist -eine Standardisierung von Verfahren
zur Risikobewertung.
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