Die
Verfassungswidrigkeit des Wirtschaftssystems
- Möglichkeit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht
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Das
gegenwärtige Wirtschaftssystem verursacht während
all seiner Prozesse, während aller Produktion und
Dienstleistung massive Schäden an den natürlichen
Lebensgrundlagen der Menschen. Da die unter dem Ordnungsrahmen
des Wirtschaftssystems handelnden Personen diese Schäden
ganz legal aus dem eigenen Verantwortungs- und Kostenbereich
auf die Allgemeinheit und die nachfolgenden Generationen
abwälzen, also externalisieren dürfen, sind
marktwirtschaftliche Anreize zum nachhaltigen Schutz
der natürlichen Lebensgrundlagen, weitgehend ausgeschaltet.
Indem entsprechend umfangreich ausgelegte Studien bei
wissenschaftlichen Instituten in Auftrag gegeben werden,
will Zukunftslobby e. V. über den tatsächlichen
Umfang der Schäden Klarheit schaffen. Das voraussichtliche
Ergebnis einer jährlichen Schadensumme für
Deutschland wird, vorsichtigen Schätzungen zu Folge,
zwischen 400 und über 1000 Milliarden Euro betragen.
Da die Schädigung der natürlichen Lebensgrundlagen
zu einschneidenden Beschränkungen der Grundrechte
für die Menschen der nachfolgenden Generationen
führt, bzw. einige der garantierten Grundrechte
langsam untergräbt, drängt sich die Frage
nach der Verfassungswidrigkeit heutiger wirtschaftlicher
Prozesse auf. Lässt sich eine entsprechende Klage
vor dem Bundesverfassungsgericht führen, gegen
die Gestalterin dieses mangelhaften ökonomischen
Ordnungsrahmens, gegen die Bundesrepublik Deutschland?
Nachfolgend einige Gedanken zu den wichtigsten Grundrechten
unserer Verfassung:
Das
gegenwärtig in den westlichen und den sonstigen
Industriestaaten herrschende Wirtschaftssystem wird
auch von fast allen noch in der Entwicklung befindlichen
Staaten angestrebt. Es ist eine Mischform aus marktwirtschaftlichen
Idealen einerseits und in der Realität dahinter
knallharten planwirtschaftlichen Diktaten (Wachstumserwartungen)
andererseits, die ebenso auf den Verbrauch natürlicher
Ressourcen über die Schmerzgrenze unwiederbringlicher
Zerstörung hinaus angewiesen ist, wie der Waldbrand
auf das Vorhandensein von Bäumen.
Mit anderen Worten: Der mit Abstand bedeutendste und
gleichzeitig am wenigsten diskutierte Produktionsfaktor
dieses globalen ökonomischen Systems ist die Zerstörung
natürlicher wie anderer Lebensgrundlagen der Menschen.
Das
Vorhandensein intakter natürlicher Lebensgrundlagen
aber muss (neben allen anderen denkbaren Grundrechten)
als das wichtigste Grundrecht angesehen werden. Bildhaft
beschrieben könnte man hier wieder den berühmten
Ast beschreiben, auf welchem Menschen sitzen: Die Garantie
intakter Lebensgrundlagen entspräche dann dem Verbot,
den Ast abzusägen, während alle anderen Grundrechte
lediglich für die Menschen auf dem Ast untereinander
anzuwenden sind. Dieses erste Grundrecht ist also die
unbedingte Voraussetzung, um allen anderen Geltung verschaffen
zu können.
Wenn man dazu unseren deutschen Staat betrachtet und
seine Verfassung, welche vor allem zum Schutz der Grundrechte
niedergeschrieben wurde, drängt sich die Frage
auf: Was sagt eigentlich unsere Verfassung zu diesem
Phänomen? Lassen sich aus ihr Aussagen ableiten
zur fortgesetzten Schädigung und Untergrabung menschlicher
Lebensgrundlagen und den sich daraus ergebenden Gefahren
für verbriefte Grundrechte und für die Freiheit?
a)
Art.2 Abs.1 GG : Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung
seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte
anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige
Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
Bildet man von Art.2 Abs 1 GG den Umkehrschluss, besagt
er, dass das Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung
dort endet, wo die Rechte anderer verletzt werden. Die
Art und Weise des Konsums, der Mobilitätsgewohnheiten
oder der Freizeitgestaltung jedes einzelnen Menschen
ist auch eine Art, seine Persönlichkeit zu entfalten.
Jeder darf konsumieren was und soviel er will, solange
der Kauf legal ist und er das Geld hat.
Wenn man aber berücksichtigt, dass es heute fast
nur noch Produkte oder Dienstleistungen gibt, die mit
Hilfe von erheblichen Externalisierungseffekten bereitgestellt
wurden, deren Herstellung, Benutzung und Entsorgung
also in bedeutendem Umfang auch die Lebensgrundlagen
von Dritten schädigt, hat Konsum aufgehört,
ein verfassungsrechtlich wertfreier Begriff zu sein.
Ihm in üblicher und legaler Art und Weise und als
Form von freier Entfaltung der Persönlichkeit nachzugehen
stellt immer gleichzeitig auch eine Verletzung der Rechte
anderer dar.
Oben genannter Artikel des Grundgesetzes erklärt
also die heute allgemein üblichen Arten der Persönlichkeitsentfaltung
für verfassungswidrig oder, weil Persönlichkeitsentfaltung
ein wesentliches Merkmal der freien menschlichen Natur
ist, schreit er förmlich nach der Entwicklung von
neutralen Konsumalternativen ohne Schäden, die
externalisiert werden, bzw. nach einer neuen Quantität
und Qualität von Konsum innerhalb der Regeln einer
daraufhin ausgerichteten nachhaltigen Wirtschaftsform.
b)
Art.2 Abs.2 GG : Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche
Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich.
In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen
werden.
Die Schädigung der Lebensgrundlagen bedeutet zwangsläufig,
dass Angehörige nachfolgender Generationen in zunehmendem
Maße eine Situation vorfinden, die es schwieriger
macht, ihre körperliche Unversehrtheit zu erhalten,
als es den heute lebenden Menschen möglich ist.
Diese Bürger der Zukunft müssen also Einschränkungen
der körperlichen Unversehrtheit zwangsweise in
Kauf nehmen, denn es wird nur zum geringen Teil gelingen,
durch verstärkten technischen und finanziellen
Aufwand geschädigte, entwertete oder verbrauchte
Lebensgrundlagen (Böden, Wasser oder Naturräume)
wieder nutzbar zu machen. Ja dieser Aufwand würde
abermals Mittel binden und Möglichkeiten vereiteln.
Es steht also fest, dass den Menschen kommender Generationen
das Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht
mehr in dem Maße garantiert werden kann, wie den
heute lebenden Staatsbürgern. (Ebenso müssen
die Gegenwartsmenschen gegenüber ihren Vorfahren
der jüngeren Vergangenheit heute schon Einschränkungen
ihrer körperlichen Unversehrtheit hinnehmen.)
Doch wo ist die Gesetzesgrundlage dafür, dass die
schädlichen Auswirkungen der gegenwärtigen
Art von Produktion und Konsum in der Industriegesellschaft
ganz allmählich das oben genannte Grundrecht außer
Kraft setzen dürfen ?
c)
Art.3 Abs.3 GG : Niemand darf wegen seines Geschlechtes,
seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner
Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen
oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt
werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt
werden.
Zu diesen Eigenschaften, wegen derer niemand benachteiligt
werden darf, gehört auch das Geburtsdatum, welches
den Zeitraum bestimmt, in dem der jeweilige Mensch auf
der Erde lebt. Dieses ist zwar nicht ausdrücklich
erwähnt, ergibt sich aber aus dem Sinnzusammenhang
des Art 3. Je später der Mensch aber geboren wird,
je länger die laufenden Zerstörungen wirken
konnten, bevor er die Erdenbühne betritt, desto
stärker geschädigte Lebensgrundlagen findet
er vor.
Es verstößt also das rücksichtslos ungezügelte
Produktionssystem in unserer Gesellschaft auch gegen
Art 3 Abs.3, weil es die Menschen der Zukunft eindeutig
benachteiligt.
d)
Art.14 Abs.1 GG : Das Eigentum und das Erbrecht werden
gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch
die Gesetze bestimmt.
In einer Studie des Umwelt- und Prognoseinstituts Heidelberg
, - "Ökologische und soziale Kosten der Umweltbelastung
in der Bundesrepublik Deutschland" -(4te Aufl.
1995), steht folgender Absatz:
"Die Belastung der Umwelt ist in unserer heutigen
Art des Wirtschaftens für Verursacher weitgehend
kostenfrei. Unser Wirtschaftssystem gründet jedoch
auf dem Prinzip, das etwas, das man benutzen will und
das einem nicht gehört mit einem Preis zu bezahlen
ist. Eine Benutzung ohne Bezahlung ist eine Ausnahme.
Sie kommt nur vor in Form eines Geschenks oder von Diebstahl.
Solange die natürlichen Ressourcen unerschöpflich
schienen und ihre Nutzung keine externen Kosten für
andere verursachte, war es möglich, natürliche
Ressourcen einfach als Geschenk zu betrachten. In der
heutigen Situation, in der die Belastung der Umwelt
jedoch andere und zukünftige Nutzungen ausschließt
und zunehmende externe Kosten verursacht, entspricht
diese unentgeltliche Inanspruchnahme nach den Prinzipien
unseres Wirtschaftssystems genaugenommen Diebstahl."
Diebstahl ist aber in unserem Staat durchweg verboten.
Ausnahmen hiervon sieht die allgemeine Rechtsprechung
nicht vor. Eine Enteignung der Lebensgrundlagen ist
nirgendwo beschlossen und als Gesetz formuliert worden.
Trotzdem hat sich diese genannte Form von Diebstahl
weitgehend etablieren können.
Die allgemeine Gesetzgebung in Deutschland bekämpft
diesen außergewöhnlichen und allgegenwärtigen
Akt von Diebstahl nicht. Die deutschen Umwelt-, Emissionsschutz-
und Abfallgesetze wirken angesichts der Dimension tatsächlicher
Notwendigkeiten wie Tropfen auf den heißen Stein.
Beispiele finden sich zuhauf, wie etwa Reglementierungen
zur CO2-Problematik, die es noch nicht einmal schaffen,
den Anstieg des jährlichen Emissionszuwachses zu
stoppen, geschweige denn den jährlichen Neuausstoß
selbst. Oder: Reglementierungen zu Problemabfall, die,
statt zur unmittelbar vollständigen Produktverantwortung
für den Verursacher, zur überwiegenden Verschiebung
dieser Stoffe ins Ausland führen, wo sie dann katastrophale
Zustände anrichten (z.B. Elektroschrott nach Afrika).
Oder: Abfallgesetze zu Hausmüll, die eher die Profitaussichten
einer aufgeblähten Entsorgungsindustrie sichern,
statt Energie- und Rohstoffverbrauch mittels konsequenten
Nichtproduzierens von potenziellem Müll zu vermeiden.
Usw.
So lassen die deutschen Gesetze den Grundgesetzartikel
14. Absatz 1 gegenüber den Auswirkungen des Wirtschaftssystems
als Farce erscheinen, bzw. es wurde bis heute versäumt,
diese Form der Enteignung gesetzlich zu legitimieren.
e)
Art.20a GG: Der Staat schützt auch in Verantwortung
für die künftigen Generationen die Natürlichen
Lebensgrundlagen im Rahmen der verfassungsmäßigen
Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe
von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und
die Rechtsprechung.
Dieser, erst vor einigen Jahren eingefügte Artikel
bezieht sich zwar direkt auf die Erhaltung der natürlichen
Lebensgrundlagen, ist aber sehr interpretationsreich
formuliert. Immerhin besagt er, dass die Gesetzgebung
sich an der verfassungsmäßigen Ordnung zu
orientieren hat, wenn sie für den Schutz der Lebensgrundlagen
Gesetze erlassen wollte. Der hier gemeinte Rahmen der
verfassungsmäßigen Ordnung, welcher sich
auf den Erhalt der Lebensgrundlagen beziehen könnte,
muss aus dem Sinn und dem Selbstverständnis des
Grundgesetzes heraus interpretiert werden, da das Thema
in keinem Artikel direkt behandelt wird.
Der Artikel 20a bekräftigt also die unter den Punkten
a) bis d) aufgestellten Aussagen. Der vollziehenden
Gewalt und der Rechtsprechung sind durch ihn allerdings
die Hände gebunden. Sie dürfen nur nach Maßgabe
von Gesetz und Recht für den Schutz der Lebensgrundlagen
aktiv werden und es gibt schlicht und einfach keine
wirksamen Gesetze in Deutschland, nach denen sich die
vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung hier richten
könnten.
Wenn also die Gesetzgebung den Anfang machen müsste,
es aber nicht tut, und wenn dadurch die Rechtsprechung
und die vollziehende Gewalt gezwungen ist, sich an veralteten
Gesetzen zu orientieren, welche die Lebensgrundlagen
nicht schützen, sondern ihre geordnete Zerstörung
verwalten, an wen soll man sich dann noch wenden?
Spätestens ab hier könnte man eine Klage vor
dem Bundesverfassungsgericht in Betracht ziehen, gegen
den Staat, der die oben beschriebenen Grundrechtsverletzungen
nicht unterbindet. Ja es ist gar mehr als der nur passive
Akt, eine Unterbindung zu unterlassen: Immer wenn Repräsentanten
des Staates sich für das gegenwärtig herrschende
Wirtschaftssystem aussprechen, rufen sie zwischen den
Zeilen faktisch zur aktiven Grundrechtsverletzung im
obigen Sinne auf.
Allerdings:
Die angedachte Verfassungsklage hätte mehrere juristische
Haken, an der das Vorhaben im Vorfeld schon scheitern
könnte:
1. Auch vor dem Verfassungsgericht darf nur klagen,
wer in eigenen Rechten betroffen ist. Für
anwesende Mitmenschen nicht klagen zu dürfen, ist
verständlich. Sie könnten dies auch selbst
tun. Aber darf man für Menschen, die in der Zukunft
einmal leben werden, auch nicht vor Gericht gehen? Diese
Frage müsste beantwortet werden, es gibt dazu kein
Gesetz. Die Hauptbetroffenen der heute angerichteten
Umweltschäden sind die nachfolgenden Generationen.
Sie müssten also heute klagen, um die Schäden
von morgen zu stoppen, und dies ist biologisch grundsätzlich
unmöglich. Inhaltlich wäre eine solche Klage
schlüssig und höchst berechtigt. Kann sie
an der Form scheitern?
2. Vor dem BVerfG klagt man in der Regel gegen ein
Gesetz oder gegen die Nichtbeachtung eines Gesetzes.
In diesem elementaren Fall würde sich die Klage
gegen die Grundlage des Wirtschaftssystems richten und
gegen eine lange Reihe hier regelnder Gesetze, ja gar
gegen das Nichtvorhandensein nötiger Gesetze.
Dies würde einen noch nicht dagewesenen Fall in
der gesamten Rechtsgeschichte darstellen und die Frage
nach der grundsätzlichen Art der Verhandelbarkeit
aufwerfen.
3. Eine weitere Notwendigkeit in diesem Falle wäre
ein rechtsphilosophischer Konsens zum Zusammenhang von
Recht und Gerechtigkeit.
--- Rechtspositivisten unter den Juristen bestreiten
diesen Zusammenhang oder erachten ihn als nicht relevant.
Recht sei eine Norm, die der Staat sich nun mal gegeben
hat, und an diese müsse sich gehalten werden. Dies
gelte auch für Staaten, in welchen der Umgang mit
der Bevölkerung sehr viel restriktiver und weniger
unter Beachtung von Menschenrechten nach westlicher
Vorstellung gehandhabt wird. Wenn ein in sich geschlossenes
Rechtssystem besteht und streng nach ihm gehandelt wird,
wäre dies für Rechtspositivisten in Ordnung.
Bezüglich eindeutig grausamer Regime, die einerseits
zwar ein geschlossenes Rechtssystem besitzen, andererseits
aber zutiefst ungerecht mit Teilen ihrer Bevölkerung
umgehen, foltern, morden und vertreiben, wie beispielsweise
die Nationalsozialisten im Hitlerdeutschland, bejahen
auch Rechtspositivisten eine Grenze, jenseits welcher
Recht nicht mehr losgelöst von der Gerechtigkeitsfrage
betrachtet werden kann.
--- Die Naturrechtler demgegenüber sind
der Ansicht, dass Recht nicht beliebig formuliert werden
kann, sondern auf den Grundgedanken von Gerechtigkeit
aufbauen muss. Juristen aus dem Lager der Naturrechtler
würden die Frage nach der Verfassungswidrigkeit
des Wirtschaftssystems wohl eher bejahen, als solche
aus dem ersteren Lager.
Da eine umfassende juristische Erörterung dieser
Frage bisher noch nicht stattgefunden hat, ist eine
öffentliche Debatte im Vorfeld einer eventuellen
Verfassungsklage auf jeden Fall unabdingbar.
Die Schädigung der Lebensgrundlagen nachfolgender
Generationen zu reinen Profitzwecken, bzw. für
einen fragwürdigen Wohlstand, soviel wird wohl
niemand mehr in Abrede stellen, ist alles andere als
gerecht. Zwar stehen einzelne Teilbereiche aus dem breiten
Wirkungsspektrum externer Folgen der Ökonomie heute
schon im Fokus der Umweltdiskussion. Das komplette derzeit
herrschende Wirtschaftssystem als "Täter"
und die Milliarden Menschen nachfolgender Generationen
als Opfer zu sehen, stellt jedoch einen völlig
neuen Ansatz dar.
Aus rechtspositivistischer Sicht müsste eine Einigung
bezüglich der Dimension und der Einordnung des
hier geschehenden Unrechts herbeigeführt werden.
Das schreckliche Leid von Millionen gefolterten und
ermordeten Menschen im Nationalsozialismus ist der wohl
drastischste Fall, bei welchem Rechtspositivisten, abweichend
von ihrer üblichen Auffassung, vorhandenes staatliches
Recht als nicht hinnehmbares Unrecht ansahen. Das teilweise
noch gar nicht geschehene, potentielle Leid der riesigen
Menschenmasse nachfolgender Generationen kann man nun
auf keinen Fall in Beziehung zu den Verbrechen im "Dritten
Reich" setzen. Es unterscheidet sich in nahezu
allen Details.
--- Es findet ohne den eindeutigen Täter oder Täterbeauftragten
statt. Es geschieht in einer Welt schwer geschädigter
Lebensgrundlagen, in einer Welt, die von den Eltern
und Großeltern geschändet und ausgeplündert
wurde, in welcher ruinierte Infrastruktur, vergiftete
Ackerböden, Trinkwasserknappheit, erodierte Landschaften,
Wetterextreme, vermüllte Meere, Flüchtlingsströme,
usw. zum Alltag gehören, in welcher zwangsläufig
mit sich zuspitzender Situation auch Freiheiten und
Sicherheiten verloren gehen und das Recht des Stärkeren
sich immer weiter durchsetzt, in der soziale Gemeinschaften
vernichtet, demokratische Regierungen von globalen Machtapparaten
geentert werden und kaum noch Alltagskonstanz, regionale
und kulturelle Bindungen oder andere Verlässlichkeiten
die Seele zur Ruhe kommen lassen, und es geschieht in
einer Welt, in welcher keine gute Macht von außen
zu erwarten ist, welche einen Krieg gegen die Täter
führt, um die Opfer aus ihrem Leid zu befreien.
--- Es geschieht nicht über einen begrenzten Zeitraum
hin, sondern kann Jahrhunderte andauern. Es wächst
nicht nur über die Jahre hin an, sondern es wandert
von den ärmsten Ländern der Erde aus, wo die
Alltagsbedingungen der Menschen heute schon katastrophal
sind, allmählich wie eine nicht aufzuhaltende Epidemie
um den Globus und manifestiert sich überall in
anderer Qualität und Intensität. Die am glimpflichsten
davongekommenen Regionen bilden nur anfangs eine Ausnahme.
Bald werden sie von jenen entdeckt, die sich mit krimineller
Energie genügend Macht und Möglichkeiten verschaffen
können, um ihren Aufenthaltsort frei zu bestimmen.
Die Lebensbedingungen auf der Erde werden sich für
den Menschen radikal verändern. Die meisten der
Zustände in 50 oder 100 Jahren sind für uns
heute gar nicht vorstellbar, denn sie lassen sich nicht
einfach durch lineare Hochrechnungen bekannter Veränderungen
darstellen. Zum großen Teil werden sie sich eher
in Form exponentieller Auftürmungen ergeben durch
Wechselwirkungen neu entstandener Bedingungen mit anderen
Beeinträchtigungen und dritten Aspekten.
Die Täter-Opfer-Beziehung ist hier eine
gänzlich neue in der Weltgeschichte. Wenn die Opfer
leben, sind die Täter schon gestorben. Umgekehrt
verhindert der Zeitabstand das Zustandekommen einer
Verantwortungsbeziehung vom Täter zum Opfer. Ihm
wird seine Täterrolle nicht bewusst, weil er die
Opfer in seiner Vorstellung nicht fassen kann. Trotzdem
muss er heute seine Tat reflektieren und sein verhängnisvolles
Verhalten ändern.
Die Bevölkerung heute empfindet sich nicht als
Täter, weil die Politik die Problematik nicht in
ihrer Dringlichkeit und wahren Dimension thematisiert
und weil sie dem Bürger den knallharten Zusammenhang
mit dessen Art der Lebensführung nicht verdeutlicht.
Sie verharrt in Lethargie, weil sie außer der
Rolle Täter, bzw. Anstifter der Täter zu sein
keine andere politische Perspektive sieht.
Das Unrecht an den nachfolgenden Generationen wartet
noch immer darauf, anerkannt und eingeordnet zu werden.
Erst mit der Einordnung und Anerkennung des zukünftigen
Unrechts kann die Tat an sich und die Notwendigkeit
des Umsteuern gänzlich begriffen werden. Die Beurteilung
der Tat bleibt ausschließlich den Tätern
überlassen, - wenn dies kein juristisches Novum
ist.
Was bis heute fehlt, ist die konsequent anders gerichtete
Betrachtungsart des Problems. Bisher wird die herrschende
Ökonomie als im Prinzip gut dargestellt und bei
Bedarf und gelegentlich aktuellem Anlass nach und nach
eingeräumt, dass einige Teile daraus vielleicht
nachhaltiger gestaltet werden müssten. Tatsache
ist jedoch, dass die Ökonomie, außer ein
paar oberflächlichen und kurzfristigen Gewinneffekten,
eigentlich NUR noch aus solchen "einigen Teilen"
besteht und insgesamt ein Verhängnis für die
Menschheit darstellt. Es ist an der Zeit, die Deutungshoheit
in dieser Sache unabhängigen Denkern, Naturrechtlern
und anderen Zeitgenossen zu übertragen, welche
noch ein genügend starkes und universelles Gerechtigkeitsempfinden
besitzen.
CCR